Rumänien: Wir sind wieder ein bisschen frei

Jun 23, 2020 | Aktuelles, Jugend im Shutdown


Ancuța Dorohoi beschreibt das Leben im Lockdown und führt Interviews mit Betroffenen

Ich bin die Ancuța Dorohoi und komme aus Rumänien. Ich habe zwei Jobs: Ich bin Lehrerin und Reiseführerin im Nebenjob. Mir persönlich geht es im Frühjahr 2020 gut, ich bin als Lehrerin beschäftigt und habe alles, was ich brauche in der Nähe. Mein Alltag hat sich durch die Pandemie so geändert, dass ich ständig 12 Stunden pro Tag arbeite, d.h. kein Wochenende mehr und viele, viele Überstunden. Wenn das alles fertig ist, brauche ich einen Urlaub. Wann wird das alles aber fertig sein? Wie stellen sich die junge Leute Rumäniens das vor, und welche Schwierigkeiten haben sie mit dem Leben in der Corona-Pandemie? Wie lernen und trainieren sie für die Schule und den Job? Das alles, aber auch ein Übersicht über die Situation Rumäniens bevor und nach dem Lockdown, versuche ich in diesem Artikel zu beantworten.

Das Jahr 2020 begann für die meisten wie jedes andere Jahr mit Vorsätzen, Hoffnungen, Plänen und Träumen. Im Januar hatten wir nur Angst, dass es nicht genug Schnee gibt, um die Landwirtschaft zu schützen. Wir hatten keine anderen größeren Probleme. Anfang Februar verbreiteten sich Nachrichten über ein grippeähnliches Virus, das viele Menschen in der chinesischen Region Wuhan getötet hatte. Neben Informationen gab es viele Details, Spekulationen und Ideen, wie alles anfing. Die Nachrichten, ob wahr oder falsch, strahlte man täglich im Radio, im Fernsehen und im Internet aus, aber niemand wusste etwas Genaues, und so ging das Leben auf seinem normalen Weg weiter.

Am 26. Februar, wurde der erste Fall in Rumänien bestätigt: Es war ein Italiener, der unser Land besucht hatte. Rumänien rüstete sich gegen die Pandemie. Strengere Regel standen vor der Tür. Nur noch ein letztes Aufbäumen der Normalität. Die Dinge breiteten sich schnell aus, so dass Rumänien am 16. März 2020 bald vom Alarmzustand in den Lockdown überging. Niemand verstand alle Maßnahmen, es tauchten immer neue und neue militärische Verordnungen und militärische Einschränkungen im Zusammenhang mit Reisen auf.

Ich begann mit der Arbeit an diesem Artikel am 10. Mai 2020, als wir uns dem Ende des Lockdowns nähernten, also kurz vor der Rückkehr in den Alarmzustand. Derzeit dürfen wir das Haus ohne Schutzmaske, Handschuhe und Dokumente nicht verlassen: entweder eine Erklärung in eigener Verantwortung oder eine Bescheinigung des Arbeitgebers, die das Foto zu diesem Bericht zeigt)

In der Erklärung dürfen wir uns nur aus wenigen Gründen dafür entscheiden, das Haus zu verlassen, einschließlich zur Arbeit, in den Laden, in die Landwirtschaft (aber nicht in der Natur), zum Arzt oder zu einzelnen Sportarten. Genaue Informationen, Adressen oder Geschäftsnamen müssen angegeben werden. Diese Aussagen müssen von jeder Person unabhängig vom Alter ausgefüllt werden. Die jungen Menschen haben mehr Bewegungsfreiheit, aber wohin sollen sie gehen, denn alles außer Lebensmittel- und Haushaltsgeschäften geschlossen ist. In Kindergärten, Schulen, Gymnasien und Hochschulen sind alle Kurse online gegangen. Schüler und Studenten haben endlich unbegrenzte Zeit für das Internet, aber sie wollen einfach nur rausgehen und sich mit ihren Freunden spielen oder treffen.

Neben Online-Kursen bietet das öffentliche Fernsehen Kurse zur Vorbereitung von Kindern der 8. und 12. Klasse in den letzten Jahren an. Das Abitur wird in diesem Jahr unter besonderen Bedingungen geschrieben, ebenso die Bachelorarbeiten. Am kompliziertesten ist es für Studenten, die nicht praktisch arbeiten können, also beispielsweise für Ärzte und Architekten. Sie müssen alles aus Büchern lernen.

Ich habe einige Antworten von jungen Leuten aus Rumänien gesammelt, die in verschiedenen Bereichen arbeiten und aus unterschiedlichen Altersgruppen stammen. Zwei der Fragen waren allgemein und eine dritte war für jede befragte Person spezifisch.

Oana Predincea, 30, Kindergärtnerin

Was hast du während der Pandemie gelernt?
Ich weiß, dass viele von uns auf mehreren Ebenen von dieser Zeit betroffen waren, dass einige von uns ihre Arbeit verloren haben, andere die Geschäfte begraben haben, manche vielleicht haben sich in Gedanken vertieft und wurden trauriger. Aber viele von uns Menschen wurden wiedergeboren. Es war eine perfekte Zeit, um Zeit mit unseren Familie zu verbringen, kreativ und erfinderisch zu sein, über unser Leben nachzudenken, über die Entscheidungen, die wir weiterhin treffen werden. Ich gehöre zur zweiten Kategorie. Obwohl ich nicht dachte, dass ich jemals in solchen Zeiten leben würde, war es eine tolle Erfahrung , weil ich viele Dinge über mich selbst entdeckt und gleichzeitig andere neue gelernt habe. Während dieser Zeit wurde mir klar, dass ich gerne Zeit mit mir selbst verbringe, ohne mich zu langweilen, dass jeder Tag eine Gelegenheit ist, etwas Neues zu beginnen. Ich habe das Sprichwort „Mit Geduld das Meer überqueren“ wirklich erlebt. Ich habe gelernt, dass ich dankbar sein muss, dass ich gesund bin und absolut alles kann, was ich will. Ich habe festgestellt, dass ich Gartenarbeit kann und dass es mir gefällt. Ich habe gelernt, dass ich einige wirklich super leckere Gerichte kochen kann. Ich bin sehr froh, dass ich einen Job habe, der es mir ermöglicht, jeden Tag kreativ zu sein und der mich immer beschäftigt.

Wie schaffst du es im Moment, deinen Job zu üben und wie bleibst du mit deinen Kleinen in Kontakt?
Die Arbeit im Bildungsbereich, genauer gesagt als Erzieherin im Kindergarten, war für uns, aber auch für die Kinder und Eltern etwas völlig Neues. Da wir jung, einfallsreich und kreativ sind, haben wir verschiedene Wege gefunden, unseren Kindern nahe zu sein. Anfangs habe ich nur schriftlich mit meinen Eltern kommuniziert, ihnen Arbeitsblätter geschickt, aber im Laufe der Tage habe ich neue Methoden entdeckt, nämlich Vlogs mit bestimmten Aufgaben, die Kinder ausführen sollten. So sind wir eigentlich im Kontakt geblieben. Im Gegenzug erhielten wir Videos mit den Kindern, während wir die von uns vorgeschlagenen Aufgaben lösten. Wir haben festgestellt, wie sehr wir die Kindergartenkinder vermissen, und wie wunderbar unser Job ist. Jeden Tag lernen wir neue Dinge, und mit Hilfe von Online-Lehrkursen bin ich sicher, dass wir immer besser werden. Derzeit denken meine Kollegin und ich über eine superinteressante Idee im Zusammenhang mit der Feier zum Jahresende nach.

Was möchtest du als Erstes tun, wenn alles zum Normalstand zurückkehrt?
Wenn alles wieder normal ist, werde ich überall spazieren gehen, und dann werde ich einen Kurzurlaub von ungefähr zwei oder drei Tagen organisieren, irgendwo mitten in der Natur, mit dem Zelt in der Nähe von einem See – um der Natur zu sagen, wie wichtig sie für uns ist und wie sehr wir sie vermisst haben.

Mara Macovschi, 18, Schülerin vor Abitur

Was hast du während der Pandemie gelernt?
Ich lernte kleine und einfache Dinge wie eine Autofahrt durch die Stadt zu schätzen und lernte, wer meine wahren Freunde sind.
Wie bereitest du dich auf Abi vor: Wie lernst du, was sind deine Erwartungen, wovon hast du am meisten Angst?
Ich lerne täglich in einem 2-stündigen Programm pro Fach. Ich gehe immer noch davon aus, dass angesichts dieser Pandemie die nationalen Prüfungen und das Abitur nicht so schwierig sein werden wie im letzten Jahr. Meine größte Angst ist der rumänische Test, weil ich ihn nicht mag, und lernen fällt mir schwer.
Was möchtest du als Erstes tun, wenn alles zum Normalstand zurückkehrt?
Meine Freunde zusammentrommeln und unsere verlorene Zeit zusammen zu verbringen.

Oana Voicencu, 24, Medizinstudentin

Was hast du während der Pandemie gelernt?
An der Fakultät war die Pandemie in der Literatur unverzichtbar, und im Laufe der Jahre entwickelten sich sehr ausführliche Informationen, einschließlich Methoden zur Vorbeugung, Maßnahme und Behandlung. Die Realität hingegen überraschte mich, egal wie viel ich wusste. Ich kann nicht wirklich sagen, dass ich etwas gelernt habe, sondern nur das Wissen angewendet habe, das ich bereits hatte, um mich zu beruhigen.

Wie bereitest du dich auf deinen zukünftigen Job als Ärztin vor, wie lange bleibst du zuhause, und wie hilft Dir der rumänische Staat in dieser Zeit?
Ich muss zugeben, dass ich mich während der gesamten Pandemie überhaupt nicht auf meinen zukünftigen Job vorbereitet habe. Ich bin eine Person, die zu Hause keine Motivation findet, und dies hat meine Aktivitäten zur Vorbereitung auf die Residency-Prüfung stark beeinflusst. Der rumänische Staat hilft nicht, er bringt uns nur in Schwierigkeiten. Das letzte Semester steht auf dem Kopf, es gibt bestimmte Theorien zur Prüfung, die Bachelor-Prüfung wird mit anderen Theorien zur Vorbereitung des speziellen Teils verschoben, und trotz alledem ist dies derzeit völlig ungewiss, hat der Staat bereits die Aufenthaltsprüfung eingerichtet.

Was möchtest du als Erstes tun, wenn alles zum Normalstand zurückkehrt?
Wenn sich alles wieder normalisiert hat, möchte ich wieder an einem anderen Ort lernen, der nicht zu Hause ist, wo ich mich auf mein eigentliches Ziel konzentrieren kann.

Mihai Băbăiță, 21, Leistungssportler – Radfahren

Was hast du während der Pandemie gelernt?
Ich weiß nicht, ob ich unbedingt etwas gelernt habe, aber ich habe diese Zeit genossen, ich hatte mehr Zeit für mich und auch um Dinge zu tun, die ich mag, aber in meiner täglichen Routine hatte ich nicht wirklich die Zeit dafür.

Wie bleibst du in Form: Wie oft und wie trainierst du, und was inspiriert oder motiviert dich beim Training?
Während dieser Zeit trainierte ich normal weiter, mindestens 6 Workouts pro Woche, leider alle in Innenräumen. Ich habe immer noch den Wunsch, ab Anfang des nächsten Jahres anzutreten und zu gewinnen, und ich hoffe, dass die Situation so schnell wie möglich behoben wird.

Was möchtest du als Erstes tun, wenn alles zum Normalstand zurückkehrt?
Ich möchte Fahrrad fahren und jeden Moment genießen. Ich denke, dass ich von nun an mehr Freiheit genießen werde.

Es ist schwierig, eine Schlussfolgerung zu ziehen, wenn die Dinge noch nicht zu Ende sind. Ich kann mir nur vorstellen, was es bedeutet, wieder in die Welt hinauszugehen, sich zu bewegen, den vollen Anzug zu tragen und an persönlichen Treffen teilzunehmen, nicht nur online. Der Mensch hat der Natur geschadet, und die Natur hat das Bedürfnis verspürt zu atmen. Jetzt fühlt sich die Natur gut an, aber nicht der Mensch. Dies ist das Gleichgewicht der Situation in jedem Land, und Rumänien macht auch mit. Wir haben es geschafft, schneller als andere Länder über die Risiken der Pandemie zu lernen, wir haben von Anfang an drastischere Maßnahmen ergriffen, und jetzt stehen wir kurz vor dem Abschluss eines komplizierten Kapitels der letzten zwei Monate.

Ich habe während der Arbeit an diesem Artikel Fragen gestellt, Dinge von den anderen gelernt . Und am Ende werde ich zeigen, wie sich diese Situation auf mich persönlich ausgewirkt hat, auch nach dem Prinzip der drei Fragen:

Was hast Du während der Pandemie gelernt?
Ich habe das Gefühl, die Welt steuert auf einen Abgrund zu, und die Pandemie hat sie vor dem Fall bewahrt. Ich kann sagen, dass ich während der Pandemie nie allein war, ich hatte immer meine Familie bei mir und die Tiere um mich herum. Viele haben diese Zeit alleine durchgemacht. Ich hatte einen Hof, um frische Luft zu atmen, und einen Garten, um den ich mich kümmern musste, während viele in der Wohnung blieben, ohne sich mehr als 50 m vom Block entfernen zu dürfen. Ich habe einen Job, den ich jeden Tag besuche, während es viele gibt, die in die technische Arbeitslosigkeit geraten sind.

Wie behältst Du Deine Motivation bei der Arbeit?
Die Leute, die ich jeden Tag online treffe, erwarten von mir, dass wir etwas Neues lernen und gemeinsam Spaß haben. Sie geben mir die Motivation, aus dem Bett zu steigen und mich zu schminken. Und die Sonne, die Sonne, die ich jeden Morgen sehe und fühle, die Freude, gesund zu sein. Das ist mir genug.

Was möchtest du als Erstes tun, wenn alles zum Normalstand zurückkehrt?
Wenn alles wieder normal wird, möchte ich auf den Roller steigen. Ich möchte auch in meiner Lieblingskonditorei ein Eis essen. Dann würde ich mir ein Ticket kaufen und ans Meer fahren. In Rumänien.

Zurück ins Leben

Ich beende diesen Artikel am 18.05.2020, als Rumänien aus dem Lockdown in den Alarmzustand zurückkehrt: ein unsicherer, verwirrender, aber noch freizügigerer Zustand. Ich bin heute am ersten Tag ausgegangen, um die Straßen der Stadt zu erkunden, und mir ist es klar, dass die Menschen die von der Regierung auferlegten Regeln befolgen.

Die Parks haben wieder geöffnet. Die Geschäfte, die eine Tür zur Straße haben, wurden ebenfalls geöffnet, und hier fiel mir etwas sehr Interessantes auf: Einige 17-jährige Mädchen gingen zusammen einkaufen. Eines ihrer Lieblingsgeschäfte hat gerade wiedereröffnet und sie konnten es kaum erwarten. Vielleicht nicht nur einkaufen, sondern auch, dass sie wieder zusammensitzen und Zeit wie Mädchen verbringen konnten. Es hinderte sie nicht einmal daran, die Temperatur am Eingang des Ladens zu messen (was in allen Läden der Fall ist).

Wie Aristoteles sagte, ist der Mensch ein soziales Wesen, aber insbesondere junge Menschen erfahren gerade, dass dieses Jahr keine wichtigen Momente miteinander verbringen können, wie das Bankett der 12. Klasse, der festliche Kurs am Ende des Studiums und so weiter. Wir alle fragen uns, wann sich diese Situation enden wird. Vor allem aber, wie wird unser Leben in Zukunft aussehen? Was müssen wir aufgeben? Werden wir noch Freunde bei uns haben? Werden wir ihnen noch vertrauen? Wir haben viele Fragen, unabhängig vom Alter, das ist sicher.

Text: Ancuța Dorohoi

  1. Mai 2020

Wichtige Termine

  • 07.06.2024 - 09.06.2024
    Social-Media-Werkstatt 2024

    Unsere diesjährige Social-Media-Werkstatt in Berlin steht unter dem Titel „So geht Social Video – mehr Sichtbarkeit und stärkerer Content für eure Social-Media-Kanäle“.

  • 26.09.2024 - 30.09.2024
    Konferenz-Teilnahme in Nordmazedonien

    In Krusevo/Nordmazedonien nehmen wir mit 5 Kolleg*innen an einer Jugendkonferenz teil, die Jugendmedien als Kernthema bearbeiten wird.

  • 04.11.2024 - 10.11.2024
    Besuch von Israelis in Berlin

    Fünf Kolleg*innen aus Israel informieren sich in Berlin rund um das Thema “Networking and building bridges in society through education”

  • 09.12.2024 - 15.12.2024
    Informationsreise nach Israel

    Informationsreise nach Tel Aviv, Jerusalem und Haifa für Fachkräfte der Jugendhilfe und Journalist*innen. Thema: “Networking and building bridges in society through education”.