Interview mit Soziologie-Professor Dr. Martin Schröder an der Philipps-Universität Marburg, der auf seiner Website erklärt: „Ich zeige, unter welchen Umständen Menschen mit ihrem Leben zufrieden sind.“
PNJ: Sie haben in einer ersten Studie festgestellt, dass „die Krise und der Lockdown noch extremere Effekte auf unsere Lebenseinstellung und -zufriedenheit haben als erwartet“. Woran machen Sie diese Erkenntnis fest?
Prof. Schröder: Aus englischen Daten wissen wir, dass die Chance, während der Krise depressiv zu sein, sich gegenüber den Vorjahren ungefähr verdoppelt hat. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat festgestellt, dass Menschen einsamer sind, allerdings hat die generelle Lebenszufriedenheit in Deutschland im Zuge der Krise bisher nicht abgenommen.
PNJ: Inwiefern treffen Ihre Erkenntnisse auch auf junge Menschen zu, bzw. was ist bei jungen Menschen in diesem Zusammenhang besonders auffällig?
Prof. Schröder: Die englischen und auch die deutschen Daten zeigen, dass junge Menschen besonders stark von der Krise betroffen sind.
PNJ: Sie erklären auf Ihrer Webseite: „Den steilsten Rückgang des Wohlbefindens haben die Jugendlichen erlebt.“ Wie erklären Sie dieses Phänomen?
Prof. Schröder: Ich denke es liegt daran, dass diese ihr Leben am stärksten einschränken mussten. Wenn sie alt sind, ist das objektive Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs durch das Virus zwar höher, aber sie sind im Schnitt auch weniger aktiv, also ist ihre derzeitige Einschränkung im Vergleich zu früher auch geringer.
PNJ: Während der Krise waren wir alle mehr oder weniger in unseren eigenen vier Wänden „eingesperrt“. War es dieser Umstand, oder die Angst vor Krankheit, die uns zermürbt hat? Oder was sonst?
Prof. Schröder: Die Angst vor Krankheit war es wohl nicht. Denn die englischen Daten zeigen ebenfalls, dass die Zufriedenheit – neben den Alten – gerade bei denen am wenigsten zurückgegangen ist, die klinisch gesehen durch das Virus am gefährdetsten waren. Das lässt vermuten: Nicht die reale Gefahr durch das Virus ist schlimm für die Menschen, sondern der Kontrast zum früheren Leben durch die Einschränkungen. Und jetzt kann man vermuten: Umso größer die Einschränkungen im Vergleich zu meinem früheren Leben sind, desto schlimmer, so dass Alte und Kranke betroffener sind als Junge und sozial Aktive. Aber dass der Lockdown schlimmer war als der Virus kann man ja nur unter der Prämisse sagen, die bei uns gilt, nämlich, dass wir das Virus gerade aufgrund der Einschränkungen weitgehend unter Kontrolle gebracht haben. Das nennt man das Präventionsparadox: Gerade, weil wir so gut gehandelt haben, können hier jetzt einige Spinner sagen, dass das mit dem Virus ja gar nicht so schlimm war. War es auch nicht, aber genauso wie ein Brand nicht schlimm ist, weil man ihn rechtzeitig gelöscht hat, nicht weil Feuer per se ungefährlich ist.
PNJ: Wenn man bedenkt, dass Menschen relativ schnell „unzufrieden“ mit ihren Lebensverhältnissen wurden, weil sie in ihrem Bewegungsdrang eingeschränkt waren, dann müssten doch umgekehrt nach dem Shutdown eine Welle der Euphorie einsetzen. Danach sieht es aber erst mal nicht aus – warum?
Prof. Schröder: Ihre Prämisse ist falsch. Ein gigantischer Rückgang der Lebenszufriedenheit hat nie stattgefunden, nur ein Anstieg einiger psychischer Probleme wie Einsamkeit und Depression. Ich denke, das wird sich jetzt auch normalisieren, in dem Maße, wie wir ins normale Leben zurückkehren.
PNJ: Junge Menschen können schwierige Lebensphasen meist schneller verarbeiten als ältere. Ist das bei Corona auch so, oder bleiben da dauerhafte Verunsicherungen hängen?
Prof. Schröder: Das kann man genau erst durch die kommenden Wiederholungsbefragungen sagen. Aber generell können Sie davon ausgehen, dass ein paar Wochen zu Hause bleiben keine bleibenden Narben hinterlässt. Wir erholen uns von fast allem, und mal ein paar Wochen zu Hause bleiben hat ja eine viel geringere Qualität als das, was frühere Generationen durchgemacht haben. Denken Sie an den Ersten oder Zweiten Weltkrieg. So etwas kann traumatisieren, aber ich würde vermuten ein paar Wochen seine Freunde weniger zu sehen, hat einen Effekt nur bei sowieso vorbelasteten Menschen. Alle anderen Schilderungen von Einzelfällen würde ich als medialen Hype einschätzen. Was anderes ist es aber, wenn viele Menschen jetzt dauerhaft arbeitslos werden, denn wir wissen, dass das einen sehr stark negativen Einfluss auf die Lebenszufriedenheit hat, der nicht nur bestehen bleibt, solange man arbeitslos ist, sondern sich sogar als sogenannten Narbeneffekt durch das weitere Leben ziehen kann.
Die Fragen stellte Jörg Wild
Die Erkenntnisse der Studie sind auf der Website von Prof. Martin Schröder eingestellt.
- Juni 2020
Prof. Dr. Martin Schröder: Wann sind wir wirklich zufrieden?
Es gibt jede Menge Ratgeber, die Zufriedenheit versprechen: durch Meditation, bessere Ernährung, mehr Sport oder mehr Erfolg. Warum aber verspricht jedes Buch etwas anderes? Um gesichert zu erfahren, was zu Lebensglück verhilft, müssten eigentlich Tausende von Menschen jahrzehntelang befragt werden. Dabei gibt es diese Datenbasis schon: das sozio-ökonomische Panel – eine renommierte alljährliche Umfrage mit knapp 85.000 deutschen Teilnehmern, die seit 1984 läuft. Der Soziologe Martin Schröder hat sie erstmals im Detail ausgewertet und dabei überraschende Erkenntnisse gewonnen. Er kann so mit manchem Vorurteil aufräumen und anhand empirischer Daten zeigen, was uns wirklich zufrieden macht.