Geschäftsführerin Ellen Heimes berichtet über die neuen Herausforderungen an den DKSB Bonn durch die Pandemie
Die Zahlen sind beängstigend: Jeden dritten Tag stirbt in Deutschland ein Kind durch Gewalt in der Familie, unzählige andere Kinder sind vernachlässigt, können ihre Hausaufgaben nicht erledigen, weil sich Eltern nicht um sie kümmern, und Kinder werden durch die Trennungen der Eltern traumatisiert. Dies sind nur ein paar der vielen Aufgaben, in denen der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) aktiv einschreitet und sehr konkrete Hilfe anbietet. So war das vor Corona. Und jetzt? Ellen Heimes ist die Geschäftsführerin des Bonner Ortsverbandes des DKSB und berichtet, wie der Verein in der Krise zurecht kommt und trotz Homeoffice und eingeschränkten Kontakten weiter für die Kinder und Familien der Bundesstadt arbeitet.
Pressenetzwerk für Jugendthemen (PNJ): Wie hat Corona Ihr Team getroffen?
Ellen Heimes: Wir haben sofort angefangen, unsere Angebote umzustellen, um Kinder, Jugendliche und deren Familien zu erreichen. Das bedeutet viel Arbeit am Telefon und per Video-Meetings sowie auch mehr Fahrten zu den Wohnungen von Familien, um Material vorbei zu bringen.
PNJ: Ihre Arbeit lebt vom direkten Kontakt mit Kindern und Jugendlichen und auch mit vielen Eltern. Wie hat sich der Shutdown auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Ellen Heimes: Der Aufbau von Vertrauen gelingt persönlich immer noch am besten. Zum Glück waren wir mit vielen Menschen auch schon vor Corona in einem engen Austausch, so dass wir jetzt daran anknüpfen konnten.
PNJ: Ein wichtiges Thema bei Ihrer Arbeit ist immer wieder Gewalt in den Familien. Dazu wurde ein Anstieg während der Corona-Krise prophezeit – ist der eingetreten?
Ellen Heimes: Wir führen keine repräsentative Statistik, nehmen aber wahr, dass Kinder Verletzungen aufweisen: sowohl körperliche als auch seelische.
PNJ: Auch bei Ihnen im Kinderschutzbund angesiedelt ist das Kinder- und Jugendtelefon, also eine Notfruf-Hotline. Wie haben sich die Anruferzahlen entwickelt?
Ellen Heimes: Die Zahlen steigen seit März stetig an, und deshalb wurde die Erreichbarkeit für die kostenlose Nummer 116111 ausgeweitet: Zu den normalen Zeiten montags bis samstags von 14 Uhr bis 20 Uhr können Jugendliche und Kinder jetzt auch montags, mittwochs und donnerstags von 10 Uhr bis 12 Uhr anrufen. Die Anrufe bleiben anonym und werden von qualifizierten Ehrenamtlichen entgegengenommen – herzlichen Dank für diesen großartigen Einsatz!
PNJ: Sie haben in einem Aufruf an Ihre Mitglieder und an die Bonner Bürgerinnen und Bürger geschrieben, dass Ihr Verein jetzt noch mehr denn je auf Spenden angewiesen sind – wofür brauchen Sie dieses Geld?
Ellen Heimes: Wie alle freien Träger müssen wir bei vielen Finanzierungen einen Eigenanteil tragen – und dafür brauchen wir Spenden. Auch für Sponsoring durch Firmen sind wir offen und freuen uns, wenn es uns gelingt, den Rückgang der Spenden bisher im Laufe des Jahres wieder auszugleichen.
PNJ: Das Recht auf Bildung gehört zu einem Grundrecht, das jetzt schwer umsetzbar ist. Wie merken Sie in Ihrer täglichen Arbeit, ob den Kindern und Jugendlichen Schule und Kindergarten fehlen?
Ellen Heimes: Die Kinder vermissen Ihre Freundinnen und Freunde! Jugendliche brauchen Ihre Gruppen! Für die gesunde Entwicklung sind soziale Kontakte und Gruppensituationen unerlässlich. Der Kinderschutzbund fordert deshalb schon seit einigen Wochen, dass die Präsenzangebote für Kinder und Jugendliche wieder ausgebaut werden!
PNJ: Zu Ihren Klienten zählen leider meist auch Familien aus prekären Verhältnissen, und die sind noch mehr vom Shutdown betroffen als wohlhabende Familien. Wie wirken sich die momentanen Verhältnisse auf solche Familien aus?
Ellen Heimes: Besonders ärgerlich ist es, dass Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien jetzt noch mehr abgehängt werden! Wieder einmal tragen Kinder und Jugendliche die Hauptlast, obwohl sie schutzbedürftig sind. So waren zum Beispiel aufgrund der Schließung der Bonner Tafel und der Sozialkaufhäuser viele Familien mit akuten Nöten konfrontiert. Auf der anderen Seite sind diese Familien besonders krisenerprobt und haben eine hohe Widerstandskraft – ganz anders als Familien aus dem bürgerlichen Bildungsumfeld.
PNJ: Gerade alleinerziehende Mütter und ihre Kinder zählen ebenfalls zu den Leidtragenden der Krise. Konnte Ihr Team solchen Familien in den letzten Wochen irgendwie helfen?
Ellen Heimes: Ja! Und zwar sehr konkret mit Arbeitsmaterialien, Lebensmitteln und Kleidung aus unserer Kleiderkammer. Darüber hinaus haben wir auch auf Distanz Nähe und Vertrauen vermittelt, indem wir viele regelmäßige Gespräche per Telefon oder auf Abstand in den Hausfluren geführt haben. Dabei spielte auch eine grundsätzliche gesundheitliche Aufklärung eine große Rolle!
Interview: Jörg Wild
- Mai 2020