„In Italien gehen wir nicht davon aus, dass sich unser Alltag vor 2021 normalisiert.“
Ich bin Gaia Messina, ich lebe in Tarcento bei Udine in Norditalien und bin Optikerin. Die Pandemie hat unser Leben zum Stillstand gebracht. Ich empfand die Einschnitte im Alltag mit meinen beiden Kindern enorm, die plötzlich nicht mehr zur Schule gehen konnten. Für die Kinder und Jugendlichen hier war die lange Quarantäne besonders schlimm, die gewohnten Strukturen zu verlieren und damit den Kontakt zu Gleichaltrigen. Inzwischen können sie sich wieder treffen, aber die Schulen sind noch nicht wieder in Betrieb. Ich hoffe, dass sie bald anlaufen. Die Kinder leiden. Die soziale Isolation war schlimm. Schule ist nicht nur für Bildung zuständig, sie ist ein Ort der Begegnung.
Ich habe wochenlang meinen Beruf nicht wie gewohnt ausüben können. Hinzu kam, dass sich die Meldungen und Vorschriften der Gesundheitsbehörden täglich änderten. Das hat die Menschen enorm verunsichert. In Italien gehen wir nicht davon aus, dass sich unser Alltag vor 2021 wieder normalisiert. Ich weiß nicht, ob es mich tröstet zu beobachten, dass alle die gleichen Probleme haben. Die Wirtschaft kommt nicht in Gang, solange man mit der Ungewissheit lebt: Was, wenn das Virus zurück kommt? „Zweite Welle“ ist ein Begriff, der vielen Leuten Angst macht und sie zögern lässt. Das betrifft auch die Organisation der Schulen unter Berücksichtigung der Hygienevorschriften. Das Bildungssystem und die Wirtschaft sind sehr angeschlagen, Italien hat die Krise voll erwischt.
Ich war über Wochen im Home Office. Ich finde, Home Office ist als letztmögliche Option in Ordnung, wenn man die zeitliche Verfügbarkeit regelt und wenn es eine absehbare Spanne ist. Home Schooling als einzige Möglichkeit für Kinder, am Unterricht teilzunehmen, klappt nicht. Kinder zu Hause zu unterrichten, kann kein Elternteil leisten, vor allem nicht bei Kindern im Grundschulalter. Zu Hause lenkt zu viel ab. Bei Oberstufenschülern würde ich tippen, dass sie die Notwendigkeit von Online-Lernen einschätzen und die Disziplin aufbringen können. Meine persönliche Meinung ist: Nur Home Office und nur Home Schooling sind unproduktiv. So fällt auch mein Fazit bei mir und meinen Kindern aus.
Eine gute Seite kann ich dem wochenlangen Stillstand des gesellschaftlichen Lebens in Italien abgewinnen: Die Pandemie hat das Land entschleunigt. Mir wurde bewusst, wie wenig Zeit ich normalerweise zu Hause verbringe. Mein Alltag ist ein Spagat zwischen Arbeit und Schule, ich bin meist unterwegs und erledige nebenbei die Einkäufe. Freizeit bleibt wenig übrig. Das haben wir als Familie versucht, aufzuholen. Wir waren spazieren, das war trotz Quarantäne erlaubt, und zu Hause haben wir gemeinsam gekocht. Ich habe täglich eine Stunde Gymnastik gemacht. Es ist ausgesprochen anstrengend, eine Struktur zu bilden, wenn der Alltag so komplett durcheinandergeworfen ist. Gelingt das, erträgt man die Situation leichter. Sollte das Virus zurückkommen, trifft es uns weniger hart.
Text: Gaia Messina
Redaktionell bearbeitet von Dr. Tanja Kasischke
- Juni 2020