Feel Slowenia – auch in Corona-Zeiten

Jul 16, 2020 | Aktuelles, Jugend im Shutdown

Interview mit Ana Zagozen

Slowenien ist das einzige Land, in dessen eigener Schreibweise das Wort Love enthalten ist. Darauf sind die Slowenen stolz, auch in Zeiten von Corona. Als erstes europäisches Land erklärte es die Pandemie für beendet und die Grenzen wieder für geöffnet. Das 2-Millionen Volk steht mit unter 2.000 Fällen und knapp über 100 Todesopfern im europäischen Vergleich gut da, gerade weil es an die Hotspots Österreich, Norditalien und Kroatien grenzt, wo die Lage gänzlich anders aussieht. Wie hat die Pandemie Sloweinien getroffen, welche Strategie hat die Pandemie in Schach gehalten, wie kommt das bei den Bürgern und gerade der Jugend an? Wir trafen in der Hafenstadt Koper die 33-jährige Ana Zagozan, Soziologin, Unternehmensberaterin Event-Managerin. Nach einem Praktikum im EU-Parlament ist sie jüngstes Mitglied im Stadtparlament der Hauptstadt Ljubljana. Sie vertritt dort die Politik der Regierungspartei SDS des gerade zum wiederholten Mal gewählten Ministerpräsidenten Janez Jansa. Ihr Motto hat sie vom slowenischen Poeten Tone Kuntner entliehen: „Wer ehrlich und mit Liebe etwas aufbaut, der baut das nicht für sich allein, sondern für die Allgemeinheit und die Zukunft.“

Frage: Wie hat die große Pandemie das kleine Slowenien überrascht und erwischt?
Ana: Die Pandemie überraschte uns. Wir fürchteten italienische Zustände. Hunderte starben jeden Tag in der Lombardei. Der erste Corona-Fall in Slowenien wurde am 4. März registriert, ein Heimkehrer aus Italien. Die nationale Epidemie wurde am 12. März ausgerufen. Bis zum 13. Mai hatten wir 1.467 bestätigte Fälle und 103 Tote. Öffentliche Versammlungen wurden untersagt, Social distancing und Maskenzwang galten für alle öffentlichen Räume. Obwohl wir zwischenzeitlich das Ende der Epidemie erklärten, warnen unsere Experten, die Gefahr ist immer noch unter uns. Zu Beginn hatten wir eine problematische Situation, weil wir zur zeitgleich einen Regierungswechsel hatten. Janez Jansa wurde neuer Ministerpräsident und stellte sehr schnell eine 10-köpfige Expertengruppe auf, mit Vertretern aus Ökonomie und Gesundheit. Wir erstellten ein Notprogramm für Unternehmen und fuhren sofort das öffentliche Leben runter, Restaurants und Hotels mussten schließen, innerhalb von zwei Wochen haben wir das ganze Bildungswesen runtergefahren vom Kindergarten bis zur Universität. So haben wir die Pandemie gestoppt.

Frage: Und jetzt Anfang Juli ist wieder alles geöffnet?
Ana: Am 5. Mai öffneten die Außenflächen von Restaurants und Bars. Wir konnten mit Distanz draußen sitzen, die Bedienungen hatten Maskenzwang, sobald wir den Platz verlassen, ist eine Maske Pflicht. Am 15. Mai öffneten wir Kindergärten und Schulen, die Universitäten folgen im Oktober. Das öffentliche Leben findet in Grenzen wieder statt, die Ampel steht auf Grün, vielleicht ändert sich das wieder, weil viele Slowenen nach Kroatien fahren, da sie dort Ferienwohnungen oder Häuser besitzen. Die Infektionsrate in Kroatien ist weit höher, gestern allein 90 Fälle, das ist auch für uns ein sehr großes Problem.

Frage: Ist die Krise bewältigt? Oder steht eine zweite Welle vor der Tür?
Ana: Die Krise hat ganz massiv die Tourismusbranche getroffen und das Problem besteht weiter, Gastronomie und Hotels sind von der Fülle der Vorjahre weit entfernt. Vor Corona wurden über 90 Prozent der Kapazitäten von Ausländern gebucht, da ist ein massiver Einbruch. Eines der Hauptprobleme ist die Infektion bei Ärzten und Pflegern. Über die Zukunft kann ich nur spekulieren. Aber im Vergleich zu anderen Ländern ist in Slowenien alles okay.

Frage: Wie hat die Krise die jungen Menschen in Slowenien getroffen?
Ana: Wohnraum ist das größte Problem für junge Leute. Wenn die Eltern ihren Kindern nicht gerade ein Apartment stellen können, wird es eng. Wohnraum in Ljubljana ist teuer, ein Quadratmeter kostet schnell 7.000 €. Aber immer mehr Junge zieht es nach Ljubljana, weil hier die Möglichkeiten ungleich grösser sind. Jugendliche wollen gute Jobs, wollen reisen und viel Geld verdienen. Da hat die Krise gezeigt, dass viel junge Menschen zunächst an sich selbst denken, ganz egoistisch an sich und erst dann an die Gemeinschaft, die Gesellschaft. Das ist ein Problem, dass viele Jugendliche nicht an Politik interessiert sind. Und natürlich ist Ljubljana unser absolutes Zentrum, quasi das Paris von Slowenien, alle wollen hierhin. Wir haben nur drei Universitäten, eine hier in Ljubljana, eine in Koper, eine weitere in Maribor. Das war’s.

Frage: Wie diszipliniert sind junge Leute beim Maskentragen, bei der sozialen Distanz, bei den Hygieneregeln?
Ana: Das funktioniert in der Öffentlichkeit und bei den Studentenheimen hervorragend, alle sind sehr diszipliniert, ich denke, 99 Prozent halten sich an die Regeln. Das funktioniert mittlerweile ganz selbstverständlich. Wir haben große Bars und Diskotheken weiter geschlossen und es gibt keine Demonstrationen gegen die Beschränkungen, anders als etwa in Belgrad oder Sarajewo, wo sie dann schnell wieder über 300 Neuinfektionen haben.

Frage: Wie kann der Tourismus sich wieder beleben?
Ana: Wir müssen neu durchstarten, mit kleineren Events, ich habe mit dem Direktor für Tourismus gesprochen, wir wollen abwarten, ob es eine zweite Welle gibt. Zunächst hoffen wir, dass die Slowenen ihren Urlaub im Lande verbringen, wir haben ja das Meer, die Berge, wunderbare Landschaften und faszinierende Städte. Ljubjana war immer ein absoluter Anziehungspunkt, die Besucher kamen zu über 90 Prozent aus dem Ausland, wir hatten im letzten Jahr in den ersten zwei Juliwochen 50.000 Übernachtungen am Tag, in diesem Jahr sind es ganze 10.000. Wir müssen an der Preisschraube drehen und wieder junge Besucher gewinnen. Junge Slowenen sind sehr europaorientiert, studieren gerne im Ausland, reisen viel, wir haben ein wunderbares Erasmus-Programm. Und wir lernen Sprachen, fast jeder spricht Englisch, hier im Westen sprechen viele Italienisch, in der Gegend um Maribor eher Deutsch. Die Regierung hat für den Inlandstourismus Gutscheine eingeführt. Die Durchschnittsfamilie erhält ein Voucher über den Wert von 500 €, das an allen slowenischen Touristikeinrichtungen eingelöst werden kann. Das ist eine große Hilfe für den Tourismus.

Frage: Wie ist das bei Ihnen?
Ana: Ich spreche slowenisch, von meinem Vater habe ich Deutsch gelernt, von meiner Mutter, die aus Koper kommt, Italienisch. Eine echte Europäerin eben.

Interview: Ulrich J. C. Harz

  1. Juli 2020

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