Bericht zur Informationsreise nach Ägypten
Ägypten, 120 Millionen Einwohner, 63 Prozent sind Jugendliche. Das zugehörige Jugend- und Sportministerium zählt zu einem der wichtigsten des Landes, denn die Regierung hat erkannt: Wer die Jugend beeindruckt, der hält die Zukunft in der Hand.
Gut für uns, dass seit den 1970er Jahren das PNJ mit Ägypten Fachkräfte-Austauschprogramme unterhält, und dass – unter höchst unterschiedlichen Regierungen und für Jugend zuständigen Behörden – die Kontinuität der Austausche bewahrt werden konnte.
Also: Auf nach Ägypten. Genau genommen nach Kairo, wo 22 Millionen Menschen leben, tagsüber kommen nochmal 8 Millionen Pendler dazu. In so einer Stadt muss man sich erst mal einen Eindruck verschaffen, das unfassbar laut pulsierende Leben aufsaugen. Die Organisatoren haben uns dafür Zeit und Raum und Ressourcen gestellt: Ein Minibus, ein Fahrer, ein Betreuer bringen uns (natürlich) zu den Pyramiden und zum Komplex der Religionen. Im ältesten Teil Kairos haben über die Jahrtausende koptische Christen, Juden und Muslime eng zusammengelebt und gebetet. Apropos Islam: Wir dürfen die Al Azar Moshee mit der zugehörigen, über 1000 Jahre alten Universität besuchen. Das ist auch für nicht-religiöse Menschen bewegend. Wir hatten im Laufe der Zeit auch Gelegenheit im uralten Markt El-Khalily zu stöbern und das berühmte Nationalgericht Kosheri zu probieren.
Treffen in der GIZ
Aber wir sind ja nicht zum Spaß hier. Im Büro der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ erläutert uns Essam Thabet, Deputy Head of Project Equal Opportunities and Development (EOSO), die Grundzüge der GIZ-Aufträge im Land: Ägypten steht vor zahlreichen entwicklungspolitischen Herausforderungen. Dazu gehören ein wachsender Energiebedarf bei knapper werdenden natürlichen Ressourcen sowie eine zunehmende Bevölkerungsdichte in den Städten. Außerdem steigt vor allem bei Jugendlichen die Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig mangelnden adäquaten Bildungsangeboten. Zudem sind Teile der Bevölkerung, wie Frauen und Jugendliche, struktureller Benachteiligung ausgesetzt. Die Arbeit der GIZ unterstützt die „Nachhaltige Entwicklungsstrategie: Vision 2030“ der ägyptischen Regierung in den Schwerpunkten Klima und Energie, Umwelt und natürliche Ressourcen sowie Ausbildung und nachhaltiges Wachstum für gute Jobs. Die Organisation berät das ägyptische Elektrizitätsministerium zu erneuerbaren Energien und Energieeffizienz, sie ist Partnerinstitutionen im Bereich Stadtentwicklung, sie fördert die effizientere Nutzung von Wasser in der Landwirtschaft und unterstützt sie die allgemeine Wasserversorgung sowie das Abwasser- und Abfallmanagement.
Neben vielen, vielen anderen Aktivitäten erwähnt Frau Thabet das Projekt „Mawaddda“ (Herzlichkeit, Harmonie): Junge Paare können hier an speziellen Traingsseminaren teilnehmen, die helfen, die enorm hohe Scheidungsrate während des ersten Ehejahres zu senken. Die hohen Erwartungen junger Menschen an die Ehe – die oft noch im Familienrat arrangiert wird – lassen sich oft nicht erfüllen. Mawadda erleichtert die Kennenlernphase und führt junge Menschen an Themen wie Sexualität, Anti-Machismus und Gleichberechtigung heran.
Gespräch in der Redaktion der Tageszeitung Al Masry Al Youm
Für uns als Journalist*innen und Fachkräfte der Jugendhilfe mit ÖA-Expertise ist der Kontakt zu wichtigen Medien des besuchten Landes besonders interessant. Wir waren daher dankbar, dass wir bei Al-Masry Al-Youm (Übersetzung: Der Ägypter heute) ein ausführliches Gespräch mit dem stellvertretenden Chefredakteur Baligh Aboaged bekommen konnten. Al-Masry Al-Youm ist inzwischen die größte ägyptische Tageszeitung in Privatbesitz. Die Zeitung begann als Jugendmedium, sie hat sich allerdings vor allem während der Revolution des „arabischen Frühlings“ einen wichtigen Platz in der Reihe der kritisch-konstruktiven Medien erworben und ihren Platz in der Medienlandschaft des Landes gefestigt. Daher berichtet sie heute über alle gesellschaftlich relevanten Themen und wird in allen arabischen Ländern als wichtige – nach wie vor unabhängige – Informationsquelle genutzt.
Durch ihre Unabhängigkeit ist Al-Masry Al-Youm bis heute vor allem bei jungen Nachwuchsjournalist*innen beliebt, wer hier einen Platz in der Redaktion bekommt, hat einen festen Stand in der ägyptischen Medienlandschaft. Kritischer Journalismus, der oft hart an der Grenze des straff regierten Landes schreibt, ist gewünscht.
Wie alle Zeitungen rund um den Globus ist auch Al-Masry Al-Youm auf den Zug der Sozialen Medien aufgesprungen. Facebook, Instagram und TikTok nutzt die Social-Media-Redaktion, um Nachrichten schlagwortartig zu teasern und schnell in die Öffentlichkeit zu bringen. Die Geschichten hinter den Schlagzeilen können interessierte Leser*innen dann in der Printausgabe oder hinter der Paywall auf der Webseite lesen.
Gespräch bei ACUD über die Planungen der neuen Verwaltungshauptstadt
Ägyptens Hauptstadt Kairo platzt aus allen Nähten. Schon jetzt wächst und gedeiht daher die westlich gelegene Parallelstadt New Cairo. Mehrspurige Autobahnen verbinden die Stadtteile, an allen Ecken und Enden entstehen neue Wohnquartiere, die über riesige Werbetafeln zur Vermarktung angepriesen werden. Aber auch dieses Projekt stößt an seine Grenzen. Deshalb entsteht vor den Toren von New Cairo eine neue Verwaltungshauptstadt – so lautet übrigens auch der provisorische Name des gigantischen Projektes, angeblich läuft noch die Suche nach einem neuen griffigen Namen für die Stadt, die nach Ihrer Fertigstellung 7 Millionen Menschen beherbergen soll.
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, der sich allerdings sehr plas-tisch darstellen lässt. Nach einer knappen Stunde Autofahrt über eine mehrspurige Straße, an der sich auch eine im Bau befindliche Hochbahn aus dem Hause Siemens entlang schlängelt, steht man vor einem mehrbogigen Tor. Es soll ans Brandenburger Tor erinnern, mutet aber mehr nach 1001 Nacht an.
Durch einen der Bögen sieht man die Skyline der neuen, chinesische dominierten Finanzmetropole. Sie ist eines der Quartiere, die die neue Verwaltungshauptstadt ausmachen. Eines davon ist der neue Regierungsbezirk, der bereits fertiggestellt ist. Seit einem Jahr logieren die 31 Ministerien des Staates und der Präsidialkomplex bereits hier. 45.000 Angestellte mussten aus dem alten Kairo in die neue Verwaltungshauptstadt übersiedelt wer-den. In einem dieser neuen Bauten ist ACUD untergebracht, die Administrative Capital For Urban Development. Khaled El-Husseiny Soliman, offizieller Sprecher und vor allem Government & International Coordination Director der ACUD. Er erläutert anhand von Schaubildern, wie die Megacity aus dem Wüstensand gestampft werden soll, wie die Vermarktung der Quartiere funktioniert und dabei eine möglichst ökologische Smart-City entstehen wird.
Anschließend bekommen wir einen weiteren Vorgeschmack auf die neue Stadt: In einer riesigen Oper und in einem grandios bestückten Museum zu den vier Hauptstädten Ägyptens merken wir, dass wir eine Reise in die Zukunft Ägyptens aber auch in die Zukunft er Arbeit in Ägypten unternehmen: Jeder, ausnahmslos jeder Job, wird in wenigen Jahren hier gebraucht.
Gespräch mit Minister für Jugend und Sport, Prof. Dr. Ashraf Sobhy
Und auch dies bekommt nicht jeder Gast in Ägypten, ein einstündiges Gespräch mit einem der mächtigsten und populärsten Minister des Landes: Prof. Dr. Ashraf Sobhy ist Minister für Jugend und Sport. Wir hatten uns darauf vorbereitet, das PNJ als alten und zuverlässigen Partner des ägyptischen Jugend- und Fachkräfteaustausches vorzustellen und landen schnell in einem Vortrag des Ministers zu den unzähligen Projekten, die seit den zwei Revolutionen des arabischen Frühlings für die Jugend entstehen.
Dabei erfahren wir: Seit einigen Jahren fördert das ägyptische Jugendministerium verstärkt den Aufbau von NGOs. In seinem Input berichtete der Minister über eine von der Regierung ausgegebene Strategie für die Jugend und Sport. Inhalte der Strategie sind zum einen nachhaltige Maßnahmen, welche sich an Jugend- und Familienzentren richten, aber auch Schulen und Religionseinrichtungen einbeziehen. Zum anderen ist ein großer Schwerpunkt der Strategie die Errichtung von neuen Sportstätten und Stadien, von denen ein Teil auch speziell für Sportler mit Behinderungen sein wird. Der Minister erwähnt auch spezialisierte Medizinzentren und bezifferte die Gesamtkosten auf 20,5 Mrd. US-Dollar.
Ein wichtiges Ziel der ägyptischen Regierung ist die Ausrichtung der olympischen Sommerspiele im Jahr 2036. Minister Sobhy erwähnt in diesem Zusammenhang die erfolgreiche Ausrichtung der Handball-WM und afrikanischer Fußballmeisterschaften.
Im Bereich der Jugendpolitik wird als politische Botschaft des Bildungswesens die außerschulische Erziehung erwähnt, welche sich auf den Umgang mit (politischer) Freiheit und die Toleranz zwischen den Religionen bezieht.
Nicht verschwiegen werden die erheblichen Wirtschaftsprobleme des Landes, verbunden mit dem Wunsch, dass sowohl der Krieg in der Ukraine als jener in Nahost (Israel/Gaza sowie Israel/Libanon) dringend enden müssten. In diesem Zusammenhang erwähnt der Minister, dass Ägypten ca. 10 Mio. Flüchtlinge aus Nahost aber auch afrikanischen Staaten aufgenommen habe.
Unser Besuch beeindruckt uns, aber auch den Minister – es waren nur 20 Minuten Treffen geplant, am Ende war es eine Stunde. Wie gesagt: Das bekommt man nicht so leicht. Wir erkennen, dass wir nach wie vor ein wichtiger Partner sind und wollen diese Chance nutzen.
Gespräch im Startup OBM
Wir sind auch in Ägypten, um etwas über zukünftige Jobs in Ägypten zu erfahren. Da ist OBM der ideale Ansprechpartner. OBM ist, um es auf den Punkt zu bringen, eine Plattform, die junge Gymnasiasten mit der für ihre Berufswünschen passende Universität zusammenführt. Klingt einfach, ist aber in Ägypten auch im Zeitalter umfassend verfügbarer Informationen ein Kunststück. Die Gründe dafür liegen vor allem im Schulsystem, das Jugendliche oft sehr in eine Berufsrichtung drängt – und das dabei von den meist noch sehr starren Familienstrukturen geprägt ist. War der Vater Lehrer, will er, dass auch sein Sohn Lehrer wird. War er Zahnarzt, will er die Praxis an seine Kinder vererben. „Und viel zu oft beschäftigen sich junge Menschen gar nicht mit der Frage, was sie selbst eigentlich wollen – was ihre Lebensziele sind, wie sie ihre Zukunft ohne diese Beeinflussung vorstellen“, erklärt uns Gründer und CEO Omar el Barbary.
Aus dieser Erkenntnis heraus, gründete Omar vor 13 Jahren die Plattform OBM (obm-education.com). Im Zuge der Zeit ist aus einer Plattform eine App entstanden und ein expandierendes Unternehmen, das vor allem mit Gesprächsforen und großen Live-Veranstaltungen von sich Reden macht – und das das Leben vieler junger Menschen verändert. „Uns ist allerdings wichtig, dass wir die Eltern bei allen Prozessen teilhaben lassen“, sagt Omar. „Wir sind nach wie vor eine traditionelle Gesellschaft, in der Planungen in der Familie stattfinden.“
Interessanterweise ging die Initiative für die Firmengründung auf eine Förderung durch das ägyptische Ministerium für Jugend und Sport im Jahr 2013 zurück. Die Angebote des Unternehmens werden im Wesentlichen durch die sog. „Taleb super app“ erbracht, die ca. 320.000 registrierte Nutzer hat. Die beiden Gründer von OBM sind im Juni 2024 auf den Markt in Saudi-Arabien eingetreten und planen eine Ausweitung ihrer Aktivitäten in die Vereinigten Arabischen Emirate im Jahr 2025. Die Finanzierung des Unternehmens geschieht durch die Privatindustrie und Wagniskapitalgeber. Insgesamt konnte das Unternehmen bislang 1,2 Mio. US-$ einsammeln. Interesse an den Leistungen des Unternehmens haben große Arbeitgeber (genannt wurde IBM), welche möglichst gut und spezifisch ausgebildete Arbeitnehmer suchen, aber auch private Universitäten (z.B. die Arizona University) und letztlich auch der ägyptische Staat, welcher auf die vielen neugegründeten Universitäten hinweisen möchte und auch die Herausbildung von Unternehmertum und Selbstständigkeit fördern möchte. Das Motto des Unternehmens wurde mit „bridging the gap“ (bezogen auf Informationen und Fähigkeiten) und „education to employment“ beschrieben.
Die Ansprache der Jugendlichen erfolgt vor allem über Social-Media, für die es bei OBM eine eigene Abteilung gibt. Hunderte „Botschafter“ gehen an Schulen und berichten über die Veranstaltungen, die dann der nächste Schritt sind. Hier treffen sich Hunderte junger Menschen mit Vertretern von staatlichen und privaten Universitäten und Hochschulen. Es gibt Speeddatings, kurze Fragerunden, Mini-Testes und Parties – alles mit dem Ziel, die Weltsicht der jungen Menschen zu öffnen. Ebenfalls im Angebot sind Crash-Kurse, um fachliche Defizite in einzelnen Bereichen zu verringern. In vergangenen 4 Jahren hat OBM damit 4 Mio. Schüler und Studenten erreicht.
„Wir müssen das Mindset der Jugend ändern“, sagt Omar und meint damit, dass der Blick weg vom vermeintlich sicheren Job beim Staatsdienst oder in der Armee hin zum extrem dynamischen ägyptischen Markt geöffnet werden muss. Und der sucht gut ausgebildete junge Menschen, die sich engagieren wollen, die leistungsbereit sind und offen für Neues sind.
All das kitzelt OBM aus den Jugendlichen heraus und führt sie auf die Schiene in eine berufliche Zukunft, die sie bisher nicht vor Augen hatten. Nicht umsonst war Omar kurz vor unserem Treffen auf der renommierten Forbes-Liste 30U30 zu einem der weltweit führenden U-30-Manager im Bereich Social-Impact gewählt worden.
Text: Milena Weidenfeller und Jörg Wild
Fotos: Gerhard Leber