Ein Vortrag zum Thema macht klar: Dem fragilen System droht der Kollaps
Wie geht es eigentlich der griechischen Jugend in Corona-Zeiten? Ein beeindruckender Vortrag unseres Partners und Freundes Panos Poulos während der IJAB-Online-Veranstaltung „Wege der Begegnung im deutsch-griechischen Jugendaustausch“ am 4. Dezember 2020 zeigte: Die Lage ist dramatisch.
Die griechische Gesellschaft in der COVID 19-Pandemie
Gastronomie und Tourismuswirtschaft konnten nur während der Sommermonate Juli und August 2020 Gewinne erwirtschaften. Beide Branchen bieten in „normalen Jahren“ Gelegenheitsjobs für junge Leute sind durch den Einbruch im Tourismussektor weggefallen. Allerdings sind die Verluste der Tourismuseinnahmen 2020 im Vergleich zum Vorjahr mit 80 Prozent dramatisch. (Tourismuseinnahmen im Jahr 2020: 3,4 Milliarden EUR gegenüber 18,2 Milliarden EUR im Jahr 2019).
Corona-Staatshilfen
Ein Staat, der durch die lang anhaltende Wirtschaftskrise und eine erdrückende Schuldenlast kaum Luft zum Agieren hat, kann auch in Krisenzeiten keine großen Hilfen an seine notleidenden Bürger ausschütten. So gab es im ersten Lockdown (22.3.-15.6.2020) während des Monats März 2020: 800 EUR pro Beschäftigten und die Übernahme der Sozialabgaben durch den Staat. Doch schon im April bis Juni 2020 sank diese Hilfe auf 534 EUR/Monat pro Beschäftigten und Übernahme der Sozialabgaben durch den Staat. Während des zweiten Corona Welle zahlte der Staat im Oktober 2020 800 EUR pro Beschäftigten plus die Übernahme der Sozialabgaben aus. Seit November und während des zweiten Lockdowns ab dem 7. Dezember gab es erneut nur 534 EUR/Monat pro Beschäftigten und die Übernahme der Sozialabgaben.
Arbeitslosigkeit
Die Arbeitslosenzahl im Jahr 2020 (bis zum 3. Quartal) im Vergleich zum Vorjahr ist wie folgt gestiegen: Februar 1,9%, Μärz 5,1%, April 21,7%, Mai 25,1%, Juni 19,9%, Juli 12,9%, August 13,3%. Die durchschnittliche Arbeitslosigkeitsrate im 2. Quartal 2020: 16,7% (Quelle: ELSTAT- Griechisches Statistisches Amt). Deutliche Unterschiede gibt es in den Altersstufen.
• 20-24-jährige (36,4%)
• 15-19-jährige (32,5%)
• 25-29-jährige (26,5%)
• 30-44-jährige (16,2%)
• 45-64-jährige (13,2%)
• 65-jährige und älter (8,5%).
Die Situation der Jugend
Das griechische Schulsystem genießt keinen allzu guten Ruf. Wer wirklich etwas lernen will, muss auf eine Privatschule gehen oder zusätzlichen Privatunterricht und Nachhilfe nehmen. Das staatliche Schulsystem reagierte auf Corona mit unterschiedlichen online-Angeboten wie Webex. In der zweiten Welle wurden die Schulen sind seit dem 16.11.2020 geschlossen und auf Online-Unterricht umgestellt. Der Online-Pflichtunterricht findet wochentags 14.00 bis 17.20 Uhr für die Grundschulen und 14.00 bis 16.20 Uhr für die Kindergärten statt. Jede Unterrichtsstunde dauert 30 Minuten mit 10-minuten Pausen. Bildungsfernsehen wird für Schüler auf freiwilliger Teilnahmebasis zusätzlich von 9.00 Uhr angeboten.
Der Online-Unterricht in der Sekundarstufe findet wochentags 8.30 bis 14.10 Uhr für das griechische Gymnasium (Klassen 7-9) und 8.00 bis 13.40 Uhr für das griechische Lyzeum, (Klassen 10-12) statt. Jede Unterrichtsstunde dauert 40 Minuten mit 10-minuten Pausen. Für den Fernunterricht wurden laut Bildungsministerium 91.613 Tablets und Laptops mit einem Gesamtbudget von 24 Mio. EUR für die Schulen bereitgestellt. Digitale Klassen und Online-Unterricht wurden allerdings laut Recherchen während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 wie folgt von den Schülern in Anspruch genommen: 76% an Privatschulen und ca. 57% an öffentlichen Schulen. Privater Nachhilfeunterricht wird ebenfalls online angeboten und zwar nachmittags und abends.
Auch für die Studierenden ist die Situation während der Pandemie bedrückend und schwierig: Geschlossene Universitäten, Online-Vorlesungen via Zoom und Webex prägen das Bild. Prüfungen im Juli und September 2020 wurden teilweise digital und teilweise mit physischer Präsenz durchgeführt. Zeremonien für Diplomvereidigungen, die unter normalen Umständen ein wichtiges Familienereignis sind, wurden im Oktober 2020 digital durchgeführt.
Die Träger der Jugendarbeit
Eine staatliche geförderte Jugendarbeit ist in Griechenland nicht vorhanden. Träger der Jugendarbeit sind Jugendorganisationen (freie Träger und Verbände) nicht-formale Jugendgruppen (ohne legalen Status). Da es keine staatliche Förderung gibt, sind sie alle auf Eigeninitiative, Spenden und die Erwirtschaftung von Eigenmittel angewiesen, wenn sie eine aktive Rolle spielen wollen. Eine zunehmend wichtige Rolle spielen dabei internationale Austauschprogramme, da hier durch Teilnehmerbeiträge und manchmal auch Verwaltungskostenpauschalen kleine Einnahmen erzielt werden können.
Die Träger der Jugendhilfe haben allerdings wegen des ersten Lockdowns im März 2020 fast alle internationalen Jugendbegegnungen auf Herbst 2020 verschoben. Nach dem zweiten Lockdown, der seit dem 7. November 2020 gilt und voraussichlich bis einschließlich der Weihnachtesferien dauern wird, wurden erneut die Gruppenaktivitäten auf den Frühsommer/Sommer 2021 verschoben.
Dies gilt sowohl für das EU-Programm Erasmus+, in dem Jugendaustauschmaßnahmen und Fachkräfteaustausche sind fast gänzlich ausgefallen sind, als auch für das Deutsch-Griechische Jugendaustausch-Sonderprogramm.
Aufgrund der vergleichsweise guten Corona-Lage in Griechenland nach der Öffnung des 1. Lockdowns am 15. Juni 2020 konnten trotzdem einige Projekte im Rahmen des Europäischen Solidaritätskorps (ESK) im Juli, August, September und Oktober durchgeführt. Das waren hautsächlich Einzelmobilitäten, sogenannte dividuelle Freiwilligentätigkeiten. ESK-Gruppenmobilitäten (Freiwilligentätigkeit im Team mit mindestens 10 Teilnehmern) gab es nur sehr wenige. Vereinzelte ESK-Einzelmobilitäten laufen unter Corona-Sicherheitsauflagen auch während des 2. Lockdowns weiter (Homeoffice, usw.).
All dies betrifft fast ausschließlich erfahrene Träger, die über eine gute internationale Vernetzung verfügen, und die jahrelanges Vertrauen der ausländischen Partnerorganisationen genießen. Trotzdem sind nach Angaben des Nationalen Griechischen Jugendarbeitervereins auch erfahrene Träger bedroht, ihre Arbeit ganz einzustellen, wenn sich die Lage in spätestens sechs Monaten nicht einigermaßen normalisiert. Danach werden sie ihre Betriebs- und Personalkosten nicht mehr decken können. Viele Träger haben bewilligte EU-Projektzuwendungen für das Jahr 2021 bereits in diesem Jahr für ihre Betriebs- und Personalkosten benutzt und planen die Aktivitäten in 2021 zum größten Teil ehrenamtlich durchzuführen. Neue Träger ohne stabile Infrastruktur und ohne gute internationale Vernetzung konnten ihre Projekte fast gar nicht durchführen und sind somit unmittelbar von einer Schließung bedroht.
Umfrage zur sozialen Situation der Jugendlichen
Im November 2020 fand Befragung über die Auswirkungen der Corona-Quarantäne unter griechischen Jugendlichen statt, die Mitglieder in Jugendorganisationen sind. Hier einige Stimmen:
Was hast du empfunden, als die Bewegungsfreiheit unterbunden war?
Enttäuschung, Depression, da ich die ganzen Tage zu Hause bleiben musste, meine Freunde nicht treffen durfte, keine sozialen Kontakte haben konnte. Ein kleiner Trost ist, dass es nicht nur mich betrifft sondern alle Menschen.
Ich bin traurig, dass alles zerstört wurde. Druck und Streß belasten meine Gesundheit
Ich empfinde einen großen Schock, da wir Jugendlichen so etwas bisher noch nie erlebt haben.
Als ich von den Corona-Maßnahmen gehört habe, habe ich es anfangs locker genommen, da ich nicht geglaubt habe, daß alles so restriktiv wäre, da wir in Griechenland leben und keine so strenge Kontrollen gewohnt sind.
Wie hat sich dein Leben geändert während der Pandemie (Arbeit, soziale Beziehungen)
Ich habe alles von zuhause aus gemacht, alle Aktivitäten stoppten (Kick-boxing, Segelschule, usw.), die Unterbrechung meiner Sportsaktivitäten haben sich negativ auf meine Gesundheit ausgewirkt.
Ich habe mich isoliert, mit der Arbeit aufgehört, nach alternativen Beschäftigungen zu Hause gesucht, Musik gehört, Bücher gelesen.
Die Kommunikation mit der Außenwelt hat sich radikal geändert, da ich gerne ausgegangen bin, was ich jetzt nicht mehr machen kann. Ich versuchte meine Zeit alternativ zu füllen, Sachen zu unternehmen, die ich vor der Quarantäne nicht gemacht habe, wie z.B. Bücher zu lesen, Gymnastik, Gesellschaftsspiele mit meiner Familie, meine Mutter beim Kochen zu helfen und mit mir selbst zu beschäftigen.
Gab es etwas Schönes für dich, als du zuhause bleiben musstest? Gab es etwas, das dich gestört/geärgert hat, da du eingeschlossen warst?
Es gab nicht viel Positives, sondern eine Routine die du befolgen musst, aber dann reagierst du und willst du genau das Gegenteil machen. Positiv war es, dass ich mich wieder die Nähe zu meiner Familie gefühlt habe. Negativ war es, dass ich meine Freunde nicht sehen dürfte.
Positiv: sich wiederentdecken, Online-Studium, Blickfeld erweitern, neue Interessen, Gymnastik, Basteln. Negativ: Freizeiteinschränkung, Ausgangssperre, keine eigene Wahl, mich für eigene Sachen zu entscheiden, sich genervt fühlen, Wutgefühl dass ich eingesperrt bin, Traurigkeit, dass ich mit meine Liebsten nicht sein darf.
Was hat sich in deinem Studium in der Quarantäne geändert? Wie haben sich diese Veränderungen deine Freizeit gewirkt?
Ich mag den Online-Unterricht nicht, ich finde ihn unpersönlich und uninteressant
Ich hab mich schnell an die Onlinevorlesungen gewohnt, obwohl ich mit Laborarbeiten Schwierigkeiten habe, da ich Informatik studiere. Das hat keine Auswirkungen auf meine Freizeit gehabt.
Die Quarantäne hat mich gezwungen, mehr Zeit fürs Studium zu investieren. Somit konnte ich meinen Diplomabschluss machen. Ich konnte zwar nicht mehr jobben, aber dafür habe ich Zeit für das Studium gehabt.
Gibt es für dich Differenzen zwischen der 1. und der 2. Quarantäne?
Die erste Quarantäne war für mich schwieriger als die zweite. Wir wussten nicht, was auf uns zukommt, wir waren gestresst, haben ständig Nachrichten geguckt, was auf uns noch zukommt, wussten nicht, wie lange das ganze dauern wird, usw. Ich fühlte große Frust und Pessimismus. Andererseits warteten wir auf den Sommer, und das Wetter hat unsere Stimmung verbessert und die Misere weggedränkt. Die zweite Quarantäne haben wir nicht erwartet. Trotzdem bin ich ruhiger, erfahrener, reifer und habe die Situation geduldiger akzeptiert im Vergleich zur 1. Quarantäne. Das Wetter hilft zwar nicht diesmal aber eine gewisse Hoffnung auf Besserung habe ich, wenn ich an die Impfung denke.
Ich habe nicht so große Angst während der 2. Quarantäne, ich bin besser vorbereitet und weiß, was zu tun ist aus der Erfahrung der 1. Quarantäne.
Panos Poulos ist Diplom-Politologe und Jugendberater. Er ist Berater der PNJ-Partnerorgansiation „Filoxenia, Intercultural-Environmental Association” und Mitglied des „Griechischen Jugendarbeitervereins „Hellenic Youth Workers Association”
Redaktionelle Bearbeitung: Jörg Wild
Beitragsfoto: Savvas Kalimeris auf Unsplash