In diesem Jahr musste der Musiker und Klangkomponist Jonas Urbat das Tempo rausnehmen, seine Methode könnte nach Corona umso wertvoller sein
Für Ruhe hatte Jonas Urbat schon immer etwas übrig. „Musik entsteht aus der Stille“, ist der 29-Jährige überzeugt. Das Pandemie-Jahr hat ihn wie viele Künstler ausgebremst. Mit am schnellsten hat es der gebürtige Schwarzwälder aber geschafft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das ist sein Stil. Seit drei, fast vier Jahren lebt Jonas ein persönliches Road Movie, unterwegs in ganz Deutschland und halb Europa. Dann kam das Virus. Es hat ihn nach Berlin verschlagen.
Der weiße Kleinbus parkt 2020 mehr, als er fährt. Das mobile Tonstudio und die Küche hat Jonas Urbat selbst eingebaut. Geschlafen wird mit Isomatte auf einem Klapprost, Maßarbeit für den hochgewachsenen jungen Mann mit den dunklen Locken. Aktuell hat Jonas sein Zuhause auf Rädern allerdings gegen ein festes Dach überm Kopf getauscht. Berlin ist jetzt die Kulisse, in der an seinem ersten Album arbeitet. „Ich habe Riesenglück, dass meine Pläne erst mal nicht von Auftritten abhängen. “ Jonas ist Musiker, Sounddesigner und Klangkomponist, sein Projekt heißt „InTubaWild“, es ist ein Wortspiel mit dem Titel der berühmten Jon Krakauer-Erzählung „Into the wild“ über einen jungen Aussteiger. So einer ist Jonas Urbat nicht. Der Name verrät „nur“ sein Instrument und die Methode, nach der er Musik produziert: Mit Aufnahmen am Wegesrand. Dem Laien erklärt er, „Tuba spielen ist wie knutschen. Dass man ein bisschen sabbert, ist normal.“ Der ausgebildete Tubist, Absolvent der Stuttgarter Musikhochschule, zieht aus, um Klänge aufzunehmen und sie als Soundschleifen unter eigene Songs oder beauftrage Aufnahmen zu legen.
Der Lockdown im Frühjahr erwischte ihn in Skandinavien. Pro Station ein Song, das ist die Faustregel. Heißt: Mit jedem Musiker oder jeder Musikerin entsteht vor Ort eine Zusammenarbeit in möglichst ungewöhnlicher Kulisse wie einer Scheune, am See, einer Mühle. Die Kompositionen begleiten dann das Klopfen des Mahlwerks, das Geräusch des unter der Axt splitternden Holzes oder zirpende Grillen. In der Prignitz steuerte eine Nachtigall ihre zierliche Arie bei, für deren Aufnahme Jonas Urbat mitten in der Nacht aufgestanden war. „Das hat sich gelohnt. So stelle ich mir den Klang völlig intakter Natur vor“, sagt er. 2020 wurde ein stiller Post im digitalen Portfolio des Musikers. Die Grenzschließungen stoppten seine Reise. „Ich hatte mit einem Musiker in Växjo, Schweden, Aufnahmen gemacht und wollte über Kopenhagen weiter nach Oslo.“ Am Tag, als Jonas eine dänische SIM-Karte in sein Handy einsetzte, kam die SMS.
„Die dänische Regierung informierte auf diese Weise alle Mobilfunknutzer, dass sie am folgenden Tag um 12 Uhr mittags die Grenzen schließen würde.“ Jonas Urbat blieb ein Abend Zeit, sich zu entscheiden, Richtung Oslo oder Richtung Flensburg zu fahren. Er parkte den Bus und schlief darüber. Als es dämmerte, fuhr er los. Um 9 Uhr passierte er die Grenze zur Bundesrepublik.
Aufgewachsen ist Jonas Urbat im Schwarzwald, hat dort als Kind in der Blaskapelle gespielt, als Student sein eigenes Orchester mit gegründet. Nach dem Diplom begann er zu reisen, inspiriert davon, „dass jeder Ort der Welt seinen unverwechselbaren Klang hat“. Entwurzelt wirkt der Freigeist nicht, im Gegenteil: Dieser Gedanke, der Botschaft seines künstlerischen Schaffens geworden ist, ergab sich aus der regionalen Identität. Zu Fuß unterwegs in seinem badischen Heimatort, kam Jonas einmal an einer Gruppe älterer Damen vorbei. Es war ein frühlingshafter Nachmittag, die Frauen saßen auf einer Terrasse und unterhielten sich lebhaft. Der junge Mann konnte nicht anders als zuzuhören – so sehr beeindruckte ihn das Stimmengewirr. Er sagt nicht etwa „die Frauen redeten vielʺ, sondern: „Sie schwätzten.ʺ Gleich hat man ein Stück südwestdeutscher Kultur im Ohr. „Jeder Sound bildet Werte ab. Die, die da sind und die, die mal da waren.ʺ
Corona legte sein Projekt lahm. „Ich dachte: Das war’s vorläufig mit Menschen begegnen. Plötzlich waren mein Bus und ich ohne Ziel. Alle Termine fielen weg.“ Ein Gefühl der Befreiung sei das nicht gewesen. „Es ist doch so, dass dieses Bild vom Akku aufladen während des Lockdowns nicht die Realität war. Leben braucht Struktur.“ Zügig vernetzte er sich deshalb mit Kollegen und initiierte eine Streamingbühne. Das hielt ihn in fürs Erste in der Spur, derweil die Album-Idee reifte. Wenn Jonas Urbat sein Pandemie-Jahr zusammenfasst, fällt auf: Nothilfefonds sind nicht das beherrschende Thema seiner Aussagen. Er hat es vor Augen aber lässt nicht zu, dass es ihn vereinnahmt. Das ist Absicht: Der Sounddesigner will Künstler ermutigen, „Interessengemeinschaften zu bilden, in denen es kein Scheitern gibt“. Er fürchtet, durch Corona überlebe nur der Mainstream, weil Existenzangst alles überlagere. „Für den Neustart brauchen wir eine ehrliche, künstlerische Identität.“
Seiner eigenen ist er auf der Spur, und „die Methode, das herauszufinden“ möchte Jonas Urbat teilen. Nicht nur, weil „InTubaWild“ digitalbasiert ist. „Musik und Kunst werden enorm wichtig sein, sobald das normale Leben zurückkehrt. Die Gesellschaft braucht Kultur. Kultur ist ihr emotionales Grundnahrungsmittel, eine Extremsituation wie Corona macht das noch klarer.“ Irgendwann will er seine Kompositionen wieder öffentlich vorstellen und Konzerte geben.
Tanja Kasischke
Beitragsfoto: Copyright Jonas Urbat