Interview mit der Freiraumaktivistin Soso
Das „Drugstore“ ist eines der ältesten selbstverwalteten Jugendzentren Berlins. Die seit der Gründung 1972 genutzten Räume in der Potsdamer Straße musste das Drugstore Anfang 2019 verlassen und befindet sich seitdem im Exil.
Florian: Stell dich doch gerne mal vor. Wer bist du und was machst du?
Soso: Ich bin Soso, 23 Jahre, studiere Soziale Arbeit und arbeite seit ich 14 bin ehrenamtlich im Kollektiv vom „Drugstore“. Ich würde mich selber im Punk-Bereich verordnen. Dadurch kam auch die Motivation im Drugstore mitzuwirken, aber letztendlich ist das Drugstore eben ein selbstverwaltetes Jugendzentrum, das heißt, viele Menschen aus verschiedensten Jugend- und Subkulturen mit verschiedensten Interessen und Anliegen kommen da zusammen, was auch eine sehr schöne, bunte Mischung ist.
Florian: Kannst du noch mehr über das „Drugstore“ erzählen?
Soso: Ja, das „Drugstore“ ist schon was Besonderes, da es ein Jugendzentrum in Selbstverwaltung ist. Das gibt es jetzt seit 1972. Aktuell befindet sich das „Drugstore“ im Exil, weil wir keine Räumlichkeiten mehr haben – aufgrund der Situation in Berlin was Gentrifizierung angeht, hat es nun auch uns getroffen und wir mussten unsere seit 46 Jahren bestehenden Räume aufgeben. Seitdem machen wir Veranstaltungen mit anderen befreundeten Projekten oder anderen in Sälen. Jetzt seit Corona machen wir hauptsächlich Onlineveranstaltungen und Streams. Allgemein zeichnet sich das „Drugstore“ dadurch aus, das viel Mitmachen und Selbermachen gefragt ist und es niemanden gibt, der/die Chef*in ist. Die Jugendlichen gestalten mit ihren Ideen das Programm und das „Drugstore“ selber.
Florian: Du sagst, bei euch läuft viel über Mit- und Selbermachen. Ich kann mir vorstellen, dass die Coronakrise da ein starker Einschnitt war. Wie habt ihr das erlebt?
Soso: Also das Kollektiv ist für die Arbeit die wir leisten, ein relativ kleines Kollektiv. Es gibt ja nicht nur den spaßigen Teil mit Veranstaltungen, sondern eben auch den politischen Part, die Raumsuche, die Pressearbeit, aber auch bürokratische Strukturen, da wir, weil wir als Jugendzentrum anerkannt sind, auch mit dem Jugendamt zusammenarbeiten müssen. Das heißt, es gibt viele Aufgaben, die du nicht einfach mal erledigen kannst, bei denen es schon Einführung und Know-How braucht. Das wird zwar vermittelt – erschwert aber den Einstieg schon etwas. Dadurch dass durch Corona die öffentlichen Veranstaltungen wegfallen, ist es schwierig Jugendlichen einen angenehmen Einstieg in die Arbeit vom „Drugstore“ sowie eine Vielfalt an Aufgaben, die ohne großes Vorwissen übernommen werden können, zu bieten. So ist es jetzt eben noch schwerer neue Jugendliche in diese Kollektivarbeit zu integrieren und auch diesen Freiraum, den wir gestalten wollen, überhaupt zu schaffen. Jetzt haben wir uns halt auf das Internet verlagert, aber die Aufgaben, die da zu bewältigen sind, beispielsweise für Konzert-Livestreams, sind doch sehr viel höherschwelliger.
Florian: Was braucht es denn eurer Meinung nach für Jugendarbeit und Freiraumgestaltung in Berlin – gerade jetzt, in Zeiten von Corona?
Soso: Es braucht, egal ob in Zeiten von Corona oder nicht, insgesamt mehr Freiräume. Jugendliche haben, wie alle anderen den Lockdown erlebt, aber eben vielleicht auf eine andere Art und Weise, da eben die notwendigen Räume für ihr Sozialleben nicht mehr da waren, die notwendigen Räume für einen Ausgleich zu dem Schulstress oder dem Stress im Elternhaus nicht da waren. Dadurch braucht es jetzt verstärkt dieses Netzwerk, welches Jugendzentren wie das „Drugstore“ oder auch die „Potse“ sicherlich bieten: Anlaufstellen für Jugendliche die nicht angepasst sind, für Jugendliche, die Schwierigkeiten haben – Räume, in denen das keine Rolle spielt, oder eben in denen genau das eine Rolle spielt und mehr darauf gehört und geachtet wird. Gerade dazu sind eben linke Freiräume enorm wichtig.
Jetzt in dieser Zeit nach dem Lockdown liest du immer wieder, dass Jugendliche sich im Park treffen und von Polizisten angegriffen werden, weil sie sich in Parks treffen. Das ist ja praktisch DAS Signal, dass es eben diesen Raum braucht, diesen Raum zum Treffen – das kann halt nicht einfach einer ganzen Generation weggenommen werden. Deswegen braucht es trotz allem Raum für Jugendliche – natürlich mit Auflagen.
Florian: Was wünscht ihr euch dazu von der Politik?
Soso: Auf jeden Fall mehr Sensibilisierung für Themen von Jugendlichen. Dieses Entreißen von Jugendzentren, von linken, alternativen Orten und Räumen, was in Berlin, aber auch überall in Deutschland passiert, nimmt auch Orte, die zum Selberdenken anregen, die eine Vielfalt an Lebensstilen fördern. Dafür braucht es mehr Sensibilität! Gerade jetzt in Zeiten der AfD und immer stärker werdenden rechten Strukturen ist es einfach notwendig Räume zu haben, o sich neue Gruppen finden, wo ein Stärken von dir selber und deinem politischen Bewusstsein stattfindet. Das sind halt genau diese linken und alternativen Räume wie das „Drugstore“, die „Liebig34“, das sind ganz viele Räume die jetzt nach und nach verschwinden sollen. Der Fokus ist halt auf Investor*innen wie „Pierce Global“ gerichtet, die jetzt
das „Syndikat“ aufgekauft haben, die millionenschwer sind und nichts mit dieser Stadt zu tun haben, während tausende Menschen, die in dieser Stadt wohnen ein massives Problem damit haben, dass das „Syndikat“ jetzt verschwunden sein soll. Das ist sicherlich etwas, das wir uns alle von der Politik wünschen: mehr gehört zu werden, ganz simpel.
Florian: Wie sieht die nahe Zukunft aus? Habt ihr wieder Veranstaltungen oder weitere Livestreams in Planung?
Soso: Während des Lockdowns haben wir angefangen unsere Konzerte mit möglichst minimalem Personalaufwand und minimalster Begegnung zu streamen. Dass dieses Erlebnis vom gemeinsamen Konzert anhören, nach Hause, ins Wohnzimmer kommt. Wir haben aber auch online Spiele-AGs gemacht, über Streaming haben wir unser „Katerkino“ gemeinsam zelebriert und gemeinsam Filme geguckt. Jetzt im Moment versuchen wir so viele Angebote wie möglich nach draußen zu verlagern. Unser größtes Projekt wird unser Potse/Drugstore-Festival, welches wir seit vielen Jahren immer zum Geburtstag beider Läden veranstalten. Das wird jetzt, mit einem enorm ausgearbeiteten Hygienekonzept nach draußen, in den Hof des „Tommy-Weisbecker-Haus“ verlagert. Das Festival wird zwei Tage, jeweils von 13 bis 22 Uhr stattfinden und pro Tag werden acht Bands spielen. Das wird zwar ein gigantisch großer Aufwand werden, wir haben aber, glaube ich, alle ziemlich Bock drauf.
Florian: Wie kann man bei euch mitmachen und sich beteiligen ?
Soso: Wir haben jeden Dienstag um 18 Uhr Plenum, im Garten des „Tommy-Weisbecker-Haus“. Das ist eine Möglichkeit einfach vorbeizukommen und zu sagen: Hallo, hier bin ich und ich habe Lust etwas zu machen, in den und den Strukturen. Ansonsten: Kommt auf unsere Veranstaltungen, wenn sie denn stattfinden und guckt euch das ganze mal an, guckt euch an wie wir arbeiten, was wir machen und ob euch das gefällt. Und dann sprecht uns einfach mal an. Wir freuen uns immer über neue Leute. Außerdem suchen wir immer noch neue Räume – wenn ihr was von freien Räumen wisst oder Leute kennt, die Leute kennen, denen Räume gehören, die die Möglichkeit bieten Konzerte zu veranstalten, dann gebt uns Bescheid, das würde uns sehr weiterhelfen.
Interview und Beitragsfoto entstanden im Rahmen einer eigenständigen Projektarbeit während des „FSJ-Kultur“ von Florian Schwarz im Archiv der Jugendkulturen.
1, September 2020