Die Suche nach dem großen Glück fordert junge Menschen heraus
Wenn wir groß werden, hören wir eine Sache immer wieder: „Das wahre Ziel im Leben ist Glück, mein Kind“. Persönliches Glück sei das Erstrebenswerteste – das Gelbe vom Ei, der Sechser im Lotto, die Kirsche auf der Sahnetorte – und das, wofür es sich zu leben lohnt. Aber was genau ist Glück eigentlich? Geht man dieser Frage nach, so bekommt man die verschiedensten Antworten: „Glück ist ein Gefühl, Glück ist eine Aufgabe, Glück ist eine Entscheidung.“ Was denn nun? Und wie findet man als junger Mensch heraus, was das große Glück für einen selbst bedeutet? Ein Gespräch mit Marie-Laure Mader, Heilpraktikerin für Psychotherapie.
Die Antwort auf die Frage nach dem Glück ist gar nicht so einfach. Das liegt zum größten Teil daran, dass Glück subjektiv ist. Mader beschreibt Glück als Wohlbefinden. Einen Zustand, in dem man sich schlicht gut fühlt. Glück fühlt sich universal gut an. Klingt erstmal einfach. Wie wir diesen Zustand erreichen bzw. worin wir dieses Glück finden, ist hingegen individuell. Werfen wir einen Blick in die Popkultur: Filme und Musik suggerieren uns schon in unseren Teenage-Jahren ein Bild vom großen Glück in Form von finanziellem Reichtum. Irgendwann der fette Mercedes Benz, der die Einfahrt eines Vorstadthauses ziert. Sich jeden Morgen den von Shirin David als trendy gekrönten Iced-Matcha-Latte für sechs Euro fünfzig leisten können. Und irgendwann dann die persönliche Haushaltshilfe, die die lästige Putzarbeit für einen übernimmt. Materialismus, Lifestyle, Bequemlichkeit – sicher solide Punkte, die den einen oder die andere glücklich machen. Aber reicht das wirklich aus? Wie lange hält das Gefühl von Glück nach dem Iced-Matcha-Latte? Wann sehen wir uns satt an dem Mercedes Benz? Und was ist, wenn wir nicht wissen, wie wir die dazu gewonnene Zeit ohne Putzverpflichtungen füllen können?
Heilpraktikerin für Psychotherapie Marie-Laure Mader: „Glück bedeutet Wohlbefinden.“
Marie-Laure Mader weiß: „Glück sollte nicht anhand von äußeren Faktoren gemessen werden. Wenn ich mein Glück davon abhängig mache, was im Außen passiert, dann wird es nur von kurzer Dauer sein.“ Denn kurzes Glück im Äußeren bedient unser Belohnungssystem – im Gehirn wird Dopamin ausgeschüttet und es entsteht ein Verlangen, diesen Zustand wieder und wieder zu erleben. Wahres Glück allerdings ist von Dauer und findet in unserem Inneren statt. „Das ist harte Arbeit und eine bewusste Entscheidung, jeden Tag“, erklärt Mader. Glück kann ein Lebensziel sein. Etwas, worauf man hinarbeitet und was einen tief im Herzen erfüllt. Was so leicht gesagt klingt, kann besonders in jungen Jahren eine große Herausforderung sein. Gerade in der Pubertät, in der sich äußerlich als auch innerlich so viel verändert und entwickelt. Da wissen die wenigsten schon, wer sie sind und wo sie sich im Leben einmal sehen. Insbesondere auf Social Media Plattformen werden Jugendliche überflutet von Menschen, die meinen das große Glück bereits gefunden zu haben. „Du musst das so machen! Nein so! Oder doch besser so!“ – kaum verwunderlich, dass da Verwirrung herrscht. Aber was kann man tun, um sich als junger Mensch durch den Dschungel der Möglichkeiten zu schlagen und Glück für sich zu finden?
Mader sagt klar: „Das wichtigste Werkzeug für Glück sind unsere Gedanken.“ Sie spiegeln unsere Glaubenssätze wider, zeigen, wie wir zum Leben stehen und entscheiden letztlich auch, wie wir uns fühlen. Heutzutage wissen wir, dass wir durchaus Zugriff auf unsere Gedanken haben und sie positiv beeinflussen können. Vielleicht kann man sich überlegen, was einen wirklich glücklich macht. Wenn man alle möglichen Erwartungen anderer Menschen und jegliche Trends für einen Moment ausblenden könnte – was wäre es, was einem wirklich und wahrhaftig Freude bereitet? In welchen Situationen fühlt man sich schlicht gut und zufrieden?
Ein weiteres Problem: Der Trend der toxischen Positivität. Mader beobachtet: „Gesellschaftlich gesehen ist alles gut, solange alles positiv ist. Sobald etwas Negatives stattfindet, ist das Leben direkt doof.“ Dabei sei ein schlechter Tag genauso okay, wie ein guter Tag. „Es wäre doch utopisch zu erwarten, dass das Leben immer gut läuft.“
Toxische Positivität im Trend auf Social Media:„Es wäre doch utopisch zu erwarten, dass das Leben immer gut läuft.“
Als „giftig“ wird dieser Trend bezeichnet, der sich mal wieder hauptsächlich in den sozialen Netzwerken breit macht. In dieser Bewegung muss ausnahmslos alles positiv sein. Aber machen wir uns nichts vor: Kriege, Welthunger und Umweltkatastrophen haben rein gar nichts Positives an sich. Da können und sollten wir auch nicht wegschauen, denn auch solche Dinge gehören zu unserer Lebensrealität. In Sachen Glücklichsein ist es die Aufgabe eines jeden, solche Ereignisse anzuerkennen und für sich zu filtern.
Negative Weltgeschehnisse lassen uns machtlos fühlen. Was helfen kann, sie zu bewältigen, ist Dankbarkeit zu praktizieren. Denn obwohl bereits die Rede davon war, dass äußere Faktoren unser Glück nicht beeinflussen sollten, so gehört es auch zur Realität, dass soziale Gegebenheiten maßgebend für unsere Reise zum Glück sind. Dankbar sein für genau die Dinge, die Menschen in der Not nicht haben, die uns manchmal aber trotzdem selbstverständlich erscheinen, kann unser Glück ebenfalls fördern. Unsere Gesundheit, ein voller Kühlschrank, ein warmes Bett am Abend, Freunde und Familie und die Möglichkeit auf Bildung sind nur einige Punkte einer langen Liste. Dankbarkeit findet sich aber nicht nur bei den großen Spielern des Lebens, sondern auch in jenen Kleinigkeiten, die uns noch so begegnen. Das kann schon ein freundlich begrüßendes Lächeln vom Nachbarn sein, der Geruch von frischem Kaffee am Morgen oder warme Sonnenstrahlen, die uns den Spaziergang in der Mittagspause versüßen. Achtsamkeit für die kleinen Geschenke des Lebens zu lernen, hat bedeutsame Auswirkungen auf unser Wohlbefinden.
Mit verschiedenen Lebensrealitäten umgehen: „Dankbarkeit für die kleinen und großen Dinge im Leben praktizieren.“
Zu guter Letzt ist da aber noch das Gras, das auf der anderen Seite grüner erscheint und unserem bedingungslosen Glück nicht selten in die Quere kommt. Marie-Laure Mader meint dazu: „Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, in der wenig Platz ist, um etwas anderes zu machen, außer zu arbeiten.“ Und in genau diese wird man als junger Mensch direkt reingeboren – die Eltern machten es den Kindern vor und die denken jetzt, dass sie es genauso machen sollten. Mader weiter: „Man vergleicht sich ständig mit Anderen und steht nonstop unter Druck.“ Die Devise lautet, immer bei sich zu bleiben. Damit beschäftigt zu bleiben, aus sich die beste Version zu machen, ganz unabhängig von anderen Menschen. Wir können uns von Anderen inspirieren lassen, sollten uns aber immer wieder selbst fragen, ob diese Definition von Glück jene ist, die auch zu uns passt. Die uns glücklich macht. Wir sollten gesunde Ups und Downs erleben, uns auch mal Auszeiten nehmen, um neue Kraft zu schöpfen.
Sich glücklich zu fühlen und als junger Mensch Glück für sich zu finden, ist also tatsächlich eine Lebensaufgabe, für die wir uns jeden Tag entscheiden müssen, sie neu zu meistern.
Text und Fotos: Lena Gerhard