Peter Wensierski beschreibt in „Jena Paradies“ das Leben und den Tod des DDR-Jugendlichen Matthias Domaschk
Es gibt Geschichten jenseits der Jubelstimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands, die machen einen zutiefst traurig. Sie eröffnen den Blick in eine DDR, von der man wusste, dass es sie gab, die aber selten so offen und nüchtern und doch bewegend und hautnah beschrieben wurde. Das ist das ganz große Verdienst des Buches „Jena Paradies“: Der Journalist und Autor Peter Wensierski hat das Leben und die letzten Tage des damals 34 Jahren alten Matthias Domaschk minutiös rekonstruiert.
Klingt langweilig? Ist es aber nicht eine Minute lang. Denn Wensierski verbindet sehr gekonnt die akribisch recherchierten Details dieser letzten Tage mit eindrucksvoll beschriebenen Szenen aus dem Alltag von linken Oppositionellen in der DDR. Von musik- und literaturbegeisterten jungen Menschen, die den Traum eines wirklich sozialistischen Staates pflegten und damit an den Machtstrukturen der real existierenden SED-Diktatur scheiterten. Er beschreibt Matz, wie ihn Freunde nennen, mit all seinen Freuden, Liebschaften, Kulturszenen und Ereignissen. Und wie der langhaarige und gütige, reisefreudige und wissensdurstige Aktivist durch sein unabhängiges Denken und Handeln im System von Stasi und Polizei zum Staatsfeind stilisiert wurde.
Als Matz mit einigen Freunden von Jena zu einer Party nach Berlin fahren will, gerät er in die Mühlen des DDR-Überwachungs- und Kontrollstaates. Drei Tage lang werden er und drei seiner Freunde verhört, bedrängt, psychisch immer mehr unter Druck gesetzt. Am Ende bleibt dem Aktivisten nur die Wahl zwischen Knast und Spitzeldasein. Er wählt den Freitod.
Wie sehr junge Menschen in der DDR der 1970er und 1980er Jahre unter der Knute der Staatssicherheit leiden mussten, wie schnell Vorurteile in handfeste Unterdrückung mündete, müssen Matz und seine Freunde immer wieder erleben. Anhand einiger Beispiele wie einer Verlobungsfeier, die zu einem Exzess der Gewalt von Staat gegen Bürger ausufert, beschreibt Peter Wensierski enorm eindrucksvoll was Freiheit und ihr Fehlen bedeuten. „Diktatur“ sagt sich leicht – aber das Leben darin kann für Freigeister zur Hölle werden. Matthias Domaschk hat sie nicht überlebt.
Jörg Wild
Peter Wensierski: Jena-Paradies. Die letzte Reise des Matthias Domaschk
Ch. Links Verlag
Hardcover mit Schutzumschlag und Abbildungen
368 Seiten
ISBN 978-3-96289-186-2