Jeder sechste Schüler von Cybermobbing betroffen
Immer mehr Schülerinnen und Schüler sind von Cybermobbing betroffen. Die Zahl der betroffenen Kinder und Jugendlichen zwischen 8 und 21 Jahren ist seit 2017 um 36 Prozent gestiegen, von 12,7 Prozent auf 17,3 Prozent in 2020. In absoluten Zahlen sind das fast zwei Millionen Kinder und Jugendliche. Das zeigt die aktuelle Studie „Cyberlife III – Cybermobbing bei Schülerinnen und Schülern“, die das Bündnis gegen Cybermobbing in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse (TK) vorgestellt hat. Für die Studie wurden im Zeitraum von Februar bis November 2020 mehr als 6.000 Eltern, Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler zum Thema Mobbing und Cybermobbing befragt. Nach 2013 und 2017 ist das bereits die dritte Untersuchung.
Uwe Leest, Vorstandsvorsitzender des Bündnisses gegen Cybermobbing: „Ziel der Studie war es, die Veränderungen des Problems Cybermobbing und der Gewalt im Netz zu untersuchen. Es zeigt sich ganz deutlich, dass heute gezielter und härter gemobbt wird, als noch vor drei Jahren.“ Die am häufigsten genannten Tatmotiven sind laut Studie: „weil es die Personen verdient haben“ und „weil ich Ärger mit der Person hatte“.
Die Opfer werden immer jünger
Nach Aussage der befragten Eltern ist bereits jeder zehnte Grundschüler einmal Opfer von Cybermobbing gewesen. In der Schülerbefragung gab in der Altersgruppe der 13- bis 17-Jährigen sogar jeder Vierte an (25 Prozent), schon mal Cybermobbing erlebt zu haben. Teilweise mit schweren Folgen.
Denn Jugendliche suchen laut der Befragung im Internet besonders häufig nach Anerkennung. Wenn ihnen die verweigert wird, kann sich das besonders für diejenigen katastrophal anfühlen, die ohnehin schon unzufrieden mit ihrem Leben sind. Denn laut Studie halten sich noch häufiger im Netz auf als die Zufriedenen, weil sie sich dort oft wohler fühlen als in der Schule. Umgekehrt gilt aber auch: Wer zufriedener ist, der wird nicht so leicht aus der Bahn geworfen von Ausgrenzungen im Netz.
Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK: „Mobbing kann massive Folgen für die körperliche und seelische Gesundheit haben. Dazu gehören zum Beispiel Ängste, Schlafstörungen und Depressionen. Gerade Kinder und Jugendliche sind emotional besonders verletzlich. Nicht selten leiden die Betroffenen noch jahrelang an den Spätfolgen.“
Laut Studie fühlen sich die Opfer durch Cybermobbing vor allem verletzt (61 Prozent), mehr als die Hälfte (53 Prozent) reagiert mit Wut. Besonders alarmierend: Jeder Fünfte hat aus Verzweiflung schon mal zu Alkohol oder Tabletten gegriffen und fast jeder vierte Betroffene äußerte Suizidgedanken. Das entspricht einem Anstieg von 20 Prozent zu 2017, beim Alkohol- und Tablettenkonsum sind es 30 Prozent.
Cybermobbing ist ein wachsendes Problem, Corona wirkt als Verstärker
Die Umstellung des Schulbetriebs auf Fernunterricht und Kontaktbeschränkungen in Folge der COVID-19-Pandemie haben die Situation noch verschärft, weil Jugendliche das Internet jetzt intensiver nutzen und sich ihre sozialen Kontakte noch mehr dahin verlagert haben.
Junge Menschen verbringen im Durchschnitt 2,3 Stunden am Tag online, wobei Teenager mit dem Eintritt in die Pubertät deutlich länger (rund drei Stunden) online sind. Vor allem nutzen die Schüler Instant-Messaging sowie Portale wie TikTok und YouTube. Diejenigen, die mit ihrem Leben weniger zufrieden sind, nutzten digitale Netzwerke häufiger, um soziale Kontakte zu knüpfen, so die Studienautoren.
Uwe Leest vom Bündnis gegen Cybermobbing erklärte: „Die Zahlen zeigen uns auch, dass sich das gelernte ‚negative Verhalten‘ der Jugendlichen nicht verändert hat, weil es nicht sanktioniert wurde. Die Täter kommen fast immer ungestraft davon. In vielen Fällen ist vor allem die Anonymität im Netz das Problem.“
Vorsorge ist besser als Nachsorge
Um Mobbing und Cybermobbing gar nicht erst entstehen zu lassen, setzt die TK auf Prävention. Dr. Jens Baas: „Im Rahmen der Prävention unterstützen wir bereits seit Jahren viele Projekte zur Förderung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen. Denn neben dem technischen Know-how, ist auch der Umgang miteinander im Netz entscheidend.“ Ein Angebot im Rahmen der Gewaltprävention ist das Antimobbing-Programm „Gemeinsam Klasse sein“ . Mit dieser kostenlosen Online-Plattform können Schulen eine ganze Projektwoche zum Thema Mobbing/Cybermobbing durchführen. Ziel ist die Stärkung der Klassengemeinschaft, so dass Mobbing gar nicht erst entsteht. Auch JUUUPORT bietet Unterstützung für Betroffene von Cybermobbing. Dort beraten Jugendliche bei Hass im Netz.
Prävention, Beratungsstellen, Aufklärung
Das Bündnis gegen Cybermobbing gibt folgende Handlungsempfehlungen:
- Die bisherige Präventionsarbeit muss verstärkt werden und bereits an den Grundschulen beginnen. Kinder müssen den „sozialen Umgang im Internet“ lernen. Eine verbesserte Lehrerfortbildung ist ein weiterer wichtiger Baustein. Wenn notwendig, sollte man auch Experten von außen in die Schulen holen.
- Eltern sollten sich intensiver mit den Inhalten und Funktionsweisen vom Internet und den Sozialen Medien auseinandersetzen. Hier sind Kommunen, soziale Träger und Schulen gefragt, Eltern mit konkreten Angeboten zu unterstützen.
- Wünschenswert wären für alle Betroffenen flächendeckende Mobbingberatungsstellen sowie anonyme Hotlines, an die sich Hilfesuchende wenden können – in Schulen oder im sozialen Umfeld.
- Neben den Schulen und der Gesellschaft, muss auch die Politik ihrer Verantwortung nachkommen. Zum Schutze der Opfer fordert das Bündnis gegen Cybermobbing ein (Cyber-)Mobbinggesetz, das es in Österreich schon seit 2016 gibt.
„Täter und Opfer müssen wissen, dass Cybermobbing kein Kavaliersdelikt ist“, so Leest.
Beitragsfoto: Zoran Zonde Stojanovski auf unsplash