Im Jahr 2011 starteten die portugiesischen Jugendlichen die größten Proteste seit der Revolution von 1974 und organisierten eine organische Bewegung namens „Geração à Rasca“, so etwas wie „die kämpfende Generation“, die gegen die Sparsamkeit und den Mangel an Möglichkeiten Sturm lief. Fast zehn Jahre später wird diese Generation wieder kämpfen.
Nach einem Stimmungsbericht der Nationalen Schule für Öffentliche Gesundheit sind die Menschen, die in den Jahrzehnten 1980 und 1990 geboren wurden, diejenigen, die stärker von Einkommensverlusten betroffen sein werden, und die sich eher mit Covid-19 infizieren werden. Die portugiesische Wirtschaft öffnet sich allmählich wieder, aber die Arbeitslosigkeit und die Arbeitsplatzunsicherheit sind wieder da, ungeachtet der Maßnahmen der Regierung zur Gewährleistung vorübergehender Entlassungen und zur Unterstützung bestimmter Wirtschaftssektoren.
Zurück zu den Eltern
Filipe Santiago Lopes, 22 Jahre, ist Master-Student in Management und musste Lissabon verlassen, wo er bis zur Krise lebte und arbeitete. „Ich kehrte in meine Heimatstadt zurück, um während dieser Krise bei meinen Eltern zu bleiben. Während dieser Zeit verlor ich meinen Job, ein Praktikum für meinen Master-Abschluss. Das reguläre Leben, das im März eigentlich nur unterbrochen sein sollte, ist also im Grunde genommen verschwunden. Dieses ‚reguläre Leben‘ war also eine Phase, zu der ich nie mehr zurückkehren und sie abschließen kann“, berichtet er traurig.
Im Moment ist der Shutdown nicht mehr strikt durchgängig, einige wichtige Bereiche des öffentlichen Lebens funktionieren wieder, obwohl die Menschen eine Maske tragen sollten, wenn sie sich in geschlossenen Räumen aufhalten. In den Unternehmen darf nur eine begrenzte Anzahl von Menschen zur gleichen Zeit tätig sein, und die Arbeitszeiten rotieren, damit es in Stoßzeiten in den öffentlichen Verkehrsmitteln zu keinen Überfüllungen kommt.
Diese Beklemmung empfindet auch Maiana Nunes: Mit ihren 24 Jahren fühlte sich die junge Frau zu Beginn des Jahres „nach der Prüfungssaison sehr gestresst“, aber sie war „hoffnungsvoll, dass die Monate danach neue Chancen und Herausforderungen bringen würden“. Die Corona-Krise änderte ihre Planungen. „Im März musste ich einige dieser Chancen aufgeben. Ich fühlte mich pragmatischer und konzentrierte mich mehr auf die Gegenwart. Und ich fühle mich immer noch so, obwohl ich mir jetzt etwas mehr Sorgen um die Zukunft mache“, erzählt sie im Interview. Mariana ist Buchhändlerin in Lissabon, sie lebt noch bei ihren Eltern und arbeitet an einen Master in Verlagswesen. Und dann sagt sie noch: „Ich bin mir derzeit nicht sicher, wie man einen Job finden soll mit diesem Studienabschluss.“
Angst vor der Zukunft
Und noch eine junge Frau kämpft. Catarina Vieira da Silva, 20 Jahre alt, schließt ihr Studium der Kommunikation ab und betont, dass einige Leute „diese momentanen Erfahrung romantisieren“, was sie ablehnt. „Es gibt Leute, die sagen, diese Zeit sei großartig. Weil man Zeit für sich selbst und für die Familien hat, weil man Arbeit nachholen kann. Ich bin mit diesen Ansichten nicht einverstanden. Viele Menschen werden mit anderen Gedanken begraben – im Zusammenhang mit der Arbeit, dem Studium oder sogar mit einer allgemeinen Angst vor der Zukunft und all dem Leid, das die Menschen durchmachen“. Die junge Studentin aus Mora in der Provinz Alentejo war zu Beginn des Jahres vorfreudig, weil sie glaubte, dass sie im Juni oder Juli ihr erstes Praktikum beginnen würde. Jetzt denkt sie über ein weiteres Studium nach – „um Zeit bis zur Erholung des Arbeitsmarktes zu gewinnen“.
„Ich hatte gehofft, dass diese Krise zu einigen großen Veränderungen führen wird. Zum Beispiel auf unsere Sicht auf unsere Gesundheit. Aber alles ist irgendwie dasselbe, wir müssen immer noch unser Leben riskieren, um zu arbeiten und unseren Lebensunterhalt zu bestreiten, manchmal ohne die notwendigen Gesundheitsmaßnahmen zu ergreifen. Geld regiert die Welt, also heben wir langsam die Alltagsbeschränkungen auf, auch wenn sich täglich etwa 200 Menschen neu infizieren. All das nur, weil unsere Wirtschaft an einem schwierigen Punkt angekommen ist. Es ist traurig, aber es ist unsere Realität“, sagt Diogo Silva, der sich in seinem letzten Jahr an der juristischen Fakultät befindet.
Um die Nöte der jungen Menschen zu verstehen, muss man wissen, wie das schulische Leben neu aufgestellt wurde. Die Kindergärten sind wieder geöffnet, aber alle Schulen werden von der ersten bis zur zehnten Klasse bis zum Ende dieses akademischen Jahres definitiv auf E-Learning oder Telelearning umgestellt. Eine Ausnahme bilden die Schülerinnen und Schüler der 11. und 12. Klassen, die am 18. Mai wieder in die Schule kamen, um Unterricht zu bestimmten Themen zu erhalten, die in den nationalen Prüfungen bewertet werden. Diese Schüler werden unterschiedliche Stundenpläne und Klassenzimmer haben, um den sozialen Kontakt zu reduzieren.
Um entfernungsbedingte Hindernisse zu überwinden, haben die Schulen und Universitäten die Kommunikationskanäle mit den Schülerinnen und Schülern breit aufgestellt. Das funktioniert mit dem Einsatz von Tools wie Zoom, Skype oder Hangouts, mit der Verbesserung des direkten Feedbacks über E-Mail und Telefon und durch den verstärkten Einsatz von interaktiven Tools und Spielen wie Mentimeter oder Kahoot.
Miguel Rocha, ein 21-jähriger Student der Informatik in Técnico Lisboa, der größten Ingenieurschule Portugals, stammt aus einer kleinen Stadt namens Cucujães im Norden Portugals. Er spricht über die Veränderungen in seinem Leben während dieser Zeit: „Meine Hochschule führte schnell Online-Kurse ein, so dass meine tägliche Routine des Pendelns völlig verschwand. Das Haus habe ich nur für die nötigsten Erledigungen verlassen, vor allem zum Einkaufen oder für gelegentliche nächtliche Spaziergänge. Was meine Arbeit anbelangt, so wurde ich wegen Kontakt mit einer möglichen Covid-19-Infektion unter Quarantäne gestellt, bevor irgendeine Art von ‚Heimarbeits‘-Maßnahmen eingeführt wurde. Ich habe dadurch einige Arbeitstage versäumt.“
„Wie der Käfer sich bewegt“
Die portugiesischen Jugendlichen führen ihr Leben jetzt zuhause. Online-Konzerte, Fernkongresse und Live-Fitnesskurse tauchten bei Instagram und Facebook auf. Aber überraschenderweise war es eine improvisierte Talkshow, die die Gespräche übernahm und zu einem Erfolg wurde und täglich die Aufmerksamkeit von Hunderttausenden von Menschen erregte. „Como É Que O Bicho Mexe“, was grob mit „Wie der Käfer sich bewegt“ übersetzt werden kann, wurde von Bruno Nogueira moderiert und brachte Dutzende von Künstlern und nationalen Stars zusammen, die an diesen Live-Videos teilnahmen. Darunter waren die Fussballspieler Cristiano Ronaldo, Bruno Fernandes und Bernardo Silva, aber auch der Athlet Nelson Évora oder Catarina Furtado, eine der portugiesischen Eurovisions-Gastgeberinnen.
In diesem Jahr waren die Feierlichkeiten zum 25. April, dem Tag der Freiheit und Jahrestag der Nelkenrevolution, anders und weniger frei als üblich. Während dieser Live-Show ritzte Vhils, ein Straßenkünstler, dessen Arbeit über die portugiesischen Grenzen hinaus bekannt ist, das Gesicht des Liedermachers José Afonso in eine Wand ein. Er ist Autor der Revolutionshymne „Grândola Vila Morena“. Parallel zu seiner Aktion wurde das Lied gespielt, und fast siebzigtausend Menschen verfolgten diese Show live. „Das war einer der aufregendsten und denkwürdigsten Momente dieser langen Wochen“, erzählt Diogo Silva.
In der letzten Episode, die in der Nacht vom 16. Mai ausgestrahlt wurde, forderte der Moderator die Zuschauer auf, Weihnachtsdekoration zu verwenden und zu feiern. Hunderte von Menschen, vor allem Jugendliche, stellten Lichter in die Fenster und auf die Balkone und sogar an den Autos an und feierten in diesem Moment des Zweifels gemeinsam. Die Aktion war wie ein frischer Wind von einer Bevölkerungsgruppe, die von dieser Krise schwer betroffen sein wird.
Diogo sagt, dass Bruno für seine besten Erinnerungen an diese Zeiten verantwortlich ist. „Er hat mir Gesellschaft geleistet. Manchmal waren die Nächte ziemlich einsam, und es war eine Erleichterung, zufällige Leute zu sehen, die von Nogueira eingeladen worden waren, um nachts zwei Stunden lang mit ihm über normale Dinge zu reden. Wir konnten lachen und vergessen, was draußen geschah (…) Wenn man in den Nachrichten nur den Tod hört und die Leute von einem unsichtbaren Virus infiziert werden, braucht es nicht viel, um einen zum Lachen zu bringen, und Bruno kam zur richtigen Zeit. Es war perfekt.“
Text: Pedro Coelho, Referent für Öffentlichkeitsarbeit bei der PNJ-Partnerorganisation Movijovem
Redaktionelle Bearbeitung: Jörg Wild
- Mai 2020